Erfahrungsbericht Physiotherapie – Einsatz im März und April 2022 vorwiegend in Andara
In der Rehaklinik Siloah in Gümligen erfuhr ich 2021 von mudiro und Physiotherapie in Namibia in der Region Kavango Ost. Meine Physio- Kolleginnen Gabi und Ursula hatten bereits Einsätze in den vergangenen Jahren für mudiro geleistet! Ich knüpfte Kontakt mit Barbara Müller, die Vereinsgründerin von mudiro. Sie hat sich bereits ein grosses Netzwerk aufgebaut mit Ärzten und medizinischem Personal. Diese Fachkräfte möchten mit der Ausbildung vom Personal und zur besseren Gesundheitsversorgung vor Ort beitragen. Als Physio-Allrounderin war ich Feuer und Flamme und startete im März 2022 für mudiro in Namibia.
Dank der engagierten, kooperativen und zuvorkommenden Art von Barbara konnte ich mich vertrauensvoll in den Spitalalltag mit grosser Einsatzfreude einbringen.
Mein Übersetzer und Mitarbeiter aus der Pflege vom jeweiligen Spital war mir zugeteilt worden. Diesem wollte ich am Patient meine Arbeitsweise übermitteln! Mit viel Eigeninitiative war ich behilflich in der Aktivierung und Rehabilitation im Spital und im ambulanten Bereich.
Ausserdem besuchten wir Patienten an ihrem Domizil in der Hütte auf unserer Buschtour, einige Autostunden vom Spital entfernt!
Zur Physio-vorbereitung hatte ich entsprechende Unterlagen mit Fotos von der Aktivierung und vom physiotherapeutischen Handling mit Erwachsenen und Kindern auf meinen Arbeitswegen parat!
Diese selbsterklärenden Übungspläne sollten den Klienten und meinem Übersetzer helfen, die Nachbehandlung von traumatischen Verletzungen verbessern, den Umgang mit rückengerechten Bewegungen erleichtern, Bewegungsübergänge, Stütztraining und Transfers in und aus dem Rollstuhl deutlicher machen!
Noch bis eine Woche vor meiner Schweizer Abreise war ich auf Covid positiv getestet worden. An den Transfers- und Zielflughäfen konnte ich nur als negativ covid Getestete durch- und einreisen. Es klappte auf den letzten Drücker und mein Afrika Abenteuer konnte beginnen:
Ich wurde sehr freundlich von Barbara Müller begrüsst und ins Team Mudiro im Container aufgenommen und einquartiert!
Ich hatte Bébéhösli und genähte, sowie gestrickte Kindermützen von Schweizer Grossmüttern rund ums Siloah für mein Klientel mitgebracht.
Barbara, meine Projektleiterin, half mir in vielerlei Hinsicht, auch im Umgang mit dem Verteilen der Bébékleider im Spital!
Ich freute mich sehr auf das grosse Spektrum vom kleinsten bis zum grössten Klienten!
Im weissen mudiro Shirt startete ich mit dem Rollstuhl-Handling und Stocktraining für die Mitarbeiter des Andara Spitals. Dank des mudiro Shirts wurde ich ringsherum sehr freundlich gegrüsst und war sehr schnell als die neue Physio aus Europa bekannt.
Ich ging morgens mit unserem Kardiologen Pierre, der auch das hiesige Africaans beherrscht, ins Spital zum Austausch und Rapport von Neueintritten, Notfälle und ärztlichen Besprechung der stationären und ambulanten Klienten. Im Anschluss ging ich mit Dyeve zu Patienten, die von der Physiotherapie profitieren könnten.
Per Aufschaltung im lokalen Radio kamen Klienten mit eigenem Transportdienst am Nachmittag, die Physiotherapie in den Räumlichkeiten des Spitals erhalten wollten!
Im Spital herrscht Masken- und Handschuhpflicht für das Personal!
Dyeve, mein Übersetzer, arbeitet als Pfleger auf der Männerabteilung und wurde nun zusätzlich in der Aktivierung tätig! Er ist ein sehr freundlich zugewandter Pflege-Fachmann und selber Familienvater, der gut bei Gross und Klein ankam!
Unsere Zusammenarbeit gestaltete sich so, dass er mir die Klienten mit ihren motorischen Problemen vorstellte und wir eine Erstbehandlung durchführten!
Vormittags behandelten wir stationäre Patienten mit neurologischer, pädiatrischer und posttraumatischer Diagnose! Nachmittags wiederholten wir mit einer zweiten Lektion auf der Station sowie mit ambulantem Klientel mit Rückenproblemen.
Die Erstbehandlung von Kindern mit entwicklungsmotorischen Auffälligkeiten gefiel mir am meisten, da ich auf diese Art und Weise auch einen kleinen Eindruck in die Familien vor Ort und den Umgang mit einem Kind mit Handicap erhielt!
Decken und Lagerungskissen waren leider keine vorhanden, deshalb rollten wir Laken zu kleinen Polstern, um Liege-Druckstellen vorzubeugen.
Auch noch nach der Mittagspause standen und sassen die Mütter mit ihren Kindern vor dem Spital unter den riesengrossen jahrhundertealten Baobabs!
Nach dem Mittagessen ging ich zu den Neugeborenen auf die Wöchnerinnenstation. Dyeve kam jeweils etwas später with some more “african minutes”
Die Neugeborenen bekamen in der Regel keine Vornamen im Spital, die wurden erst später mit dem Vater zuhause bestummen. Im Spital gab es halbtäglich Geburten
Während meiner zweiten Woche kam ein kleiner Junge mit Klumpfüsschen und erheblichen Startschwierigkeiten zur Welt. Er konnte nicht selbständig atmen und musste erst einmal vom Schleim, der die Atemwege verstopfte, befreit werden. Anschliessend erhielt er Sauerstoff mit der Maske und erholte sich im angenehm temperierten Brutkasten.
Es hatte eingedrehte schlaffe Klumpfüsse, seine Wirbelsäule, Kopf und Arme schienen soweit intakt zu sein!
Am Folgetag zeigte ich der Mutter das Redressieren von den Klumpfüssen mit dem passiven Durchbewegen der Beine und die neuromuskuläre Stimulation der Peroneimuskeln.
Um die Redressionsstellung der Füsse in der Korrektur zu halten, half mir Dyeve, Gipsschalen an die Füsse zu modellieren und mit elastischen Binden, die Füsschen in Korrekturstellung einzubandagieren!
Wir wiederholten die Gipsbehandlungen täglich und tapten die Fussstellung.
Nachmittags dann ein ehemaliger Soccerspieler mit oberer Sprung- gelenkverletzung und Schülerin mit Armlähmung, die von mir getaped wurden!
Mit der vagen Anamnese und dem Bericht vom Spitalnotfall wurde uns eine Schülerin mit Armlähmung überwiesen. Sie war nicht die einzige Armpatienten mit Lähmung der Schreibhand. In dieser Ambulanzwoche kamen 4 Schüler/innen, die uns suggerierten, dass ihre «Schreibhand» nicht funktioniere. In der Befundaufnahme zeigten sich jedenfalls keine abgeschwächten Reflexe Anhand dieser «Lähmung» wünschten sich die Schüler Belege für eine finanzielle Unterstützung beim goverment!
Da ich lediglich Hilfe mit Übungen und Tape anbot, kamen sie nicht weiter in die Folgetherapie!
Im weiteren Spital in Nyangana half mir ebenso ein Pfleger, der auf der Abteilung beschäftigt war. Er übersetzte wiederum und fragte nach dem motorischen Problem. Ein 42 jähriger Patient, Tetraplegiker nach Unfall mit Sturz vom Hausdach, träumte davon, wieder nach einigen Jahren im Spital nach Hause zurückkehren zu können. Ich konnte und wollte ihm die Hoffnung während der Therapie mit Aufstehen und Stand an der Bettstange nicht nehmen! Da er nicht selbständig von der Bettkante in den Rollstuhl transferieren konnte, blieb es für ihn bei einem Training mit einer Hilfsperson über den hohen Stand
Die beiden Spitäler, in denen ich gearbeitet habe, sind ein Segen für die lokale Bevölkerung. Die Erstversorgung mit Zugang zum Spital ist für alle Menschen gewährleistet. In der Langzeittherapie und in der Rehabilitation fehlt es nach wie
vor an Lagerungskissen und Hilfsmitteln, wie Unterarm-Gehstöcke und Rollstühle. Die Spital-Achselstützen konnten wegen Rost nicht mehr in der Höhe verstellt werden.
Diese meist sehr freundlichen Kavango Flussmenschen, die zu uns kamen, waren unterschiedlichster Herkunft! Weil es bei uns das Spital gab, gebar eine angolanische Grenzgängerinnen ihr Kind auf der namibischen Kavango- Flussseite.
Die Frauen aus der Dorfnähe sah ich abends Holz nach Hause tragen fürs Heizen und Kochen.
In der Schule und im Spital wurde täglich Pap serviert, das ist fades weisses Maismehl mit Wasser aufgekocht und mit einer Fleischsauce!
San-Menschen lebten ehemalig im Busch und ernährten sich von den Früchten, Nüssen und dem Wild des Busches. Inzwischen wohnen sie an festen Standorten!
In Nyangana kam eine Sanfamilie mit ihrer 8-jährigen Tochter zu mir.
Bei der Therapie im Busch war Improvisation gefragt!
Der linke Fuss wird aufgedehnt!
Nahe der Wasserstelle begegnete mir dieser Vater mit Tochter auf seinem Esel! Mein Hippotherapie Herz hüpfte, drum gab es natürlich einen Ballon für die Reiter!
Ich hatte viele schöne Begegnungen erlebt!
Mein Einsatz als Physio- Allrounderin und das mudiro Team hat mir sehr gefallen!
mudiro – das Feuer – es brennt! Es wärmt!
~ Hilde, Physiotherapie