Erfahrungsbericht Nadine Diwersi
Normalerweise packe ich meine Motorradtaschen für Abenteuer anderer Art quer durch meine zweite Heimat Namibia. Im Mai dieses Jahres aber stand eine neue Art von Abenteuer vor der Tür mit meinem ersten Einsatz für Mudiro. Die Vorfreude war riesig. Es war endlich Zeit dem Land etwas zurückzugeben, dass mir so viel bedeutet und bei jedem Besuch aufs Neue gibt. Ich war gespannt auf die kommenden zwei Wochen, als ich zu Sonnenaufgang in den Sattel stieg für die ersten 500km von der Farm nach Grootfontein, wo ich Herman treffen sollte, mit dem es dann per Auto weiter nach Andara ging. Auf Herman stiess ich dann früher als erwartet, während ich verzweifelt versuchte die 340kg Motorrad mit plattem Vorderreifen durch Grootfontein zu manövrieren. Ich stach wohl etwas heraus aus der Masse. «You must be Nadine. Nice to meet you, I’m Herman.» Und so fing die Reise an. Mein erster Mudiro Einsatz bestand also darin, zusammen mit Herman’s helfender Hand mein Motorrad zu operieren, bevor es per Auto weiter nach Andara ging.
Dort angekommen hätte die Begrüssung im gemütlich eingerichteten Containerdorf dank der 4-beinigen Mitarbeiter Mudiros angeführt von Benny und Jessy nicht herzlicher ausfallen können. Ich war also angekommen im zuhause auf Zeit, welches ich mir mit Veronika, angehende Pädiaterin, und Barbara, the mind (and engine) behind Mudiro, die kommenden Wochen teilen würde. Herman und Liezl sorgten zudem zusammen mit Mike und Innocentia unserer Haushaltsfee dafür, dass es uns an nichts fehlen würde.
Am nächsten Morgen ging es zusammen mit Veronika ins Spital, welches sich in Laufdistanz vom Containerdorf befindet. Durch die Lage unseres Zuhauses mitten im Dorf selbst, fühlt man sich schnell als Teil der dortigen Gemeinschaft und es ist schon fast rührend zu sehen, mit welcher Begeisterung und Freundlichkeit die Dorfbewohner Mudiros Mitarbeiter in ihrer Gemeinschaft aufnehmen und einen stets mit einem Lächeln im Gesicht grüssen. Im Spital selbst begann der Tag mit Altbekanntem aus der Schweiz, dem allmorgendlichen Rapport. Schon dort war ich beeindruckt, wie breit die dortigen Ärzte aufgestellt sind durch die Bandbreite an Fällen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert werden. Hier kann sich keiner leisten, die fachlichen Scheuklappen aufzusetzen. Von Geburten über Verkehrsunfälle, Schlangenbisse, Allergien, Herzproblemen, Tuberkulose, Brandwunden, von klein bis alt, alles ist dabei und wird durch die Allgemeinmediziner behandelt.
Auch die Weiterbildung wird in Andara gross geschrieben und von allen Anwesenden geschätzt. Ich muss zugeben, ich war überrascht wie strukturiert und motiviert sich alle zeigten. Das kannte ich von anderen afrikanischen Spitälern definitiv anders. Das Team nahm mich sofort mit offenen Armen auf und liess mich deren Alltag miterleben. Das Ankommen wurde mir leicht gemacht. Man fühlte sich direkt als Teil des Teams, es wurde schnell ein Miteinander und beide Seiten lernten gleichermassen voneinander, was schön zu sehen war. Nach dem Rapport und der Weiterbildung ging es zunächst auf Visite. Auch hier wurde ich aktiv eingebunden, von Hemmungen keine Spur. Ich hatte wirklich Freude. Der erste Tag im Spital verging wie im Flug.
Am Folgetag ging es mit der Mobile Clinic, dem zur Arztpraxis umgebauten Iveco Truck, mit Herman als Fahrer in den Busch. Hierauf freute ich mich besonders, aber zunächst galt es zu antizipieren was mich erwarten würde und die Clinic zu packen. Ich profitierte hier von Veronika, die schon mehrere male mit der Mobile Clinic im Busch unterwegs war und somit eine Idee davon hatte, mit welchen Problemen die Patienten zu uns kommen würden. Obwohl der Ausflug in den Busch von uns kurzfristig entschieden wurde und die lokalen Health Worker nur mit wenig Vorlauf über unser Kommen informiert wurden, wurden wir bei unserem ersten Stop von Patienten geradezu überrannt. Es sprach sich schnell herum, dass Mudiro in der Gegend war und die Bevölkerung zeigte sich dankbar für unseren Besuch.
Geduldig reihten sich die Patienten vor unserem Truck auf. Während ich meine mobile Arztpraxis auf einem Campingtisch neben dem Truck aufbaute, machte sich Veronika im Truck selbst daran, den kleinsten unserer Patienten zu helfen. Schnell zeigte sich, dass auch Pädiater und Chirurgen voneinander lernen können. Gegenseitiges voneinander lernen wird seitens Mudiro nicht nur gross geschrieben, sondern tagtäglich auch gelebt. Es war schön so schnell Teil der Mudiro Familie zu werden und nach nur zwei Tagen hatte ich schon das Gefühl angekommen zu sein. Die anfangs sprachlichen Hürden wurden dank engagierter lokaler Helfer und health worker schnell überwunden. Und mit etwas Offenheit ging es auch mit Händen und Füssen… man fand irgendwie zueinander. Nicht vergessen werde ich die grünen „Patientenakten“, welche jeder Patient in Papierform mit sich trug und in denen man so manche medizinische Vorgeschichte ausmachen konnte, sofern die einzelnen Zettel noch nicht von Hunden angefuttert, durch Flüsse oder Flammen gewandert waren… auch hier hiess es flexibel zu sein, aber unterm Strich fand man stets eine Lösung. Es braucht im Busch nicht viel, um helfen zu können.
Dennoch gab es immer wieder die ernüchternde Erkenntnis, das so manchem Patienten in der Schweiz im Nu geholfen werden könnte, uns jedoch draussen im Busch die Hände gebunden waren. Ein vermeintlich einfacher Diabetes lässt sich im Busch nicht einfach behandeln. Es fehlt an Blutzuckermessgeräten und vor allem Langzeitmedikation, die sich die Menschen selbst wenn vorhanden oft auch nicht leisten können. Die Folgen sind teils fatal. Am Ende des Tages konnten wir bis zu 65 Patienten helfen und einen Unterschied machen. Ein gutes Gefühl, welches wir abends beim African Braai am Lagerfeuer unter dem afrikanischen Sternenhimmel Revue passieren lassen konnten.
Meine zwei Wochen in Andara vergingen wie im Flug. Fachlich gesehen musste bzw. durfte ich mein ganzes Spektrum an medizinischem Wissen nutzen und einsetzen, aber auch ausbauen, dank meiner Kollegen vor Ort. Diese nahmen neues Wissen nicht nur dankend an, sondern waren stets bereit auch mir Einblicke in mir neue Themengebiete zu ermöglichen. Und so war es am Ende ein Miteinander, welches ich sehr schätzte. Andara und die gesamte Mudiro Familie wurden binnen kürzester Zeit zu einer Art zuhause für mich. Man geht mit dem Gefühl, etwas bewirken zu können, das nachhaltig ist. Ich freue mich schon jetzt darauf, Mudiro auf dieser spannenden Reise weiter begleiten zu dürfen.
~ Dr. Nadine Diwersi, Traumatologie