Erfahrunsbericht von Dr. Corinne Rindisbacher
Mein diesjähriger «Mudiro every life counts»-Einsatz startete spontan im Mai beim Sehtest bei meinem Optiker Stefan Tschopp. Er fragte, ob ich wieder nach Namibia gehen werde und mehr im «Gschpass» fragte ich zurück, ob er nicht vielleicht Lesebrillen habe, die er nicht benötige. Auf die Frage nach der Anzahl sprach ich spontan und «mutig» von 200 Stück. Nach wenigen Wochen erhielt ich die Antwort, dass andere Optiker und Firmen tatsächlich 200 Lesebrillen für Mudiro gesponsert haben.
So kamen wir mit einem zusätzlichen Koffer voller Lesebrillen in Windhoek an. Trotz der Sponsoringbetätigung informierte mich der Zöllner, dass ich die Brillen nur gratis einführen könne, wenn ich 2 Tage in Windhoek bleibe, auf ein Amt gehe und die Brillen noch verzolle. Es entspann sich ein lebhaftes Gespräch darüber, dass wir diese gespendeten Brillen für ältere Menschen im benachteiligten Norden nun einfach am Zoll zurücklassen würden. Der Zöllner war glücklicherweise sehr vernünftig und entgegenkommend und mit etwas Feilschen konnten wir uns schlussendlich auf einen vernünftigen Betrag einigen.
Ich freute mich nun sehr auf meinen vierten Einsatz mit Mudiro im Spital Andara und im Outreach.
Am ersten Tag wurde ich von den Spitalärzten, die ich alle schon kenne, herzlich begrüsst. Schnell war ich auch im Spitalalltag wieder integriert. Dieser startete jeweils am Morgen mit dem Rapport, wo es auch immer wieder Raum gab, die vielen strukturellen Schwierigkeiten und Hindernisse zu besprechen. Die «Kropfläärete» der Ärzte wurde meistens mit einem Witz und einer guten Portion Humor versehen. Danach war Zeit für die Abteilungsvisite, die Schreibarbeiten und die vielen Patientinnen und Patienten im OPD (Ambulatorium) und den Notfällen.
Die Schreibarbeiten der Ärzte und der Pflegenden werden auch heute noch zum grössten Teil von Hand erledigt.
Alle drei Monate rotieren die Ärzte von der Frauen-, Männer-, Kinder,-Geburten- und Tuberkulosestation sowie dem Notfall.
Ich ging jeweils mit Dr. Alice auf Visite auf der Frauenabteilung. Dabei wurden auch die weiteren Abklärungen, Laborresultate oder Röntgenbilder besprochen. Der Anteil der älteren Patientinnen und Patienten hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, sodass es nun auch ein geriatrisches Zimmer gibt. Aus Neugierde fragte ich, ab wann ein Patient denn dort untergebracht werde.
Zuerst war es sehr still und dann meinte eine der Pflegenden spontan: «Ab 50 Jahren.» Alle schmunzelten nur noch.
Eine ältere Patientin ist mir im Gedächtnis hängen geblieben. Trotz einer Krücke konnte sie nur mit Hilfe ihrer Tochter gehen. Danach versuchten wir es mit einer zweiten Krücke einer anderen Patientin. Nach kurzer Unsicherheit konnte die Frau rasch allein laufen und ich werde das Lächeln auf ihrem Gesicht und dem ihrer Tochter nicht so schnell vergessen.
Im OPD (Ambulatorium) arbeitete ich mit der Zeit selbstständig und kam so auch ich in näheren Kontakt mit jungen und alten Patientinnen und Patienten. Bei der grossen Anzahl der ambulanten Patientinnen und Patienten sind die Konsultationszeiten bei den namibischen Ärzten oft (sehr) kurz. Die Patientenheftli sind für europäische Ärzte nicht ganz einfach zu lesen. Es wird oft kreuz und quer und unleserlich geschrieben.
Oft unterstützten mich Pflegende in Ausbildung beim Übersetzen, da die älteren Patienten meist nicht Englisch sprechen. Manchmal entstanden dabei auch persönlichere Gespräche und die Patienten mit Diabetes schätzten es sehr, auch einmal etwas Ernährungsberatung zu erhalten.
Eine junge PatientIn war schon einige Male ins OPD gekommen, da sie mit ihrem ständigen Partner kein zweites Kind bekommen hatte und dieser ihr schon vorgeworfen hatte, kein weiteres Kind mit ihm haben zu wollen. Im Gespräch zeigte sich, dass das Paar sich nur wenige Male pro Jahr für wenige Tage sieht. Da war die Hormonabklärung erst einmal hinfällig und ich hoffe, dass die Information über die fruchtbaren Tage hilfreich sein wird.
Das Thema Geriatrie konnte ich in zwei Vorträgen aufnehmen. Gestützt auf die Richtlinien der südafrikanischen geriatrischen Gesellschaft habe ich über die mögliche Zukunft der geriatrischen Betreuung und Pflege gesprochen. Ärzte und Nurses fühlten sich sehr angesprochen und es entspann sich nach dem Referat ein lebhhaftes Gespräch unter uns allen. Dr. Patrick meinte, beim nächsten Besuch solle ich weiterfahren mit Vorträgen zur Geriatrie.
An einem anderen Morgen übten wir miteinander ganz praktisch neurologische Untersuchungstechniken und Schwindelabklärungen. Dank viel Humor konnten wir gemeinsam die Scheu der namibischen Ärzte, etwas Neues praktisch auszuprobieren, etwas überwinden.
Dieses Jahr habe ich bei der Arbeit auch erfahren, wie anspruchsvoll es für die Mitarbeitenden im Spital ist, mit einem knappen Spitalbudget, fehlenden Medikamenten, Personalmangel und vielerlei Verpflichtungen gegenüber dem Staat, zu arbeiten.
Im ersten Outreach konnten Barbara und ich an einem Tag 30 Patientinnen auf Gebärmutterhalskrebs screenen. Danach war leider kein Nachschub des Testmaterials in Namibia mehr erhältlich. Zudem war wegen Personalmangel kein Pflegepersonal des Spitals mehr abkömmlich für den Outreach. Deshalb konnten wir nicht mehr, wie geplant, autonom zu den sehr abgelegenen Dörfern fahren. Wir besuchten daher neuere, gut ausgerüstete Kliniken, wo Pflegende selbstständig viele Patientinnen und Patienten behandeln, Dauermedikamente abgeben, impfen und auch Dreimonatsspritzen machen. Ein grosses Thema im Outreach waren die chronischen Schmerzen der Patientinnen und Patienten und der fehlende Dafalgansirup für die Kinder.
Die fünf Wochen erlebte ich als einen bunten Strauss an interessanten medizinischen Fragestellungen, als anspruchsvollen, herausfordernden und auch beglückenden interkulturellen Dialog und ich hatte den Eindruck, auch manchmal ein wenig mithelfen zu können, die gesundheitliche Situation der Menschen im Kavango-Ost zu verbessern.
Dies alles war nur möglich dank der Geduld und dem Verständnis von Barbara Müller und Herman du Toit. Dank ihrem Zuhören, Trösten, Austauschen, Diskutieren und Ermutigen, haben sie mir immer wieder geholfen, dran zu bleiben. Herman hat uns zudem mit seinen kulinarischen namibischen Spezialitäten verwöhnt. Innocentia, Francisca und Maria haben uns den Aufenthalt im Container so angenehm wie möglich gemacht.
Herzlichen Dank euch allen für die tolle und intensive Zeit.
— Dr. Corinne Rindisbacher, Innere Medizin