11 Jahre Mudiro – und ich bin von Anfang an mittendrin
Ich bin im Busch gross geworden.
Nicht im übertragenen Sinn – wirklich. Meine Kindheit bestand aus Campsites, Zeltböden und dem Geruch von Lagerfeuer im Haar. Wir sind mit dem Land Rover durchs südliche Afrika gefahren, haben auf Gas gekocht, am Feuer gegessen und in Zelten geschlafen.
Ich konnte schon als Kind sagen, wie weit ein Löwe entfernt war – nur, indem ich seinem Brüllen lauschte. Ich lernte, Tierpfoten zu lesen, bevor ich richtig schreiben konnte. Ich konnte Tierlaute nachahmen und wusste, ob ein Leopard ganz in der Nähe war oder längst verschwunden.
Sand unter den Fingernägeln, Rauch in den Haaren – so bin ich aufgewachsen. Hin und her zwischen der Schweiz und dem südlichen Afrika. Für mich war das normal. Namibia war nie nur ein Urlaubsziel – es war und ist mein zweites Zuhause.
Und dann kam 2013. Wir waren im Norden Namibias, Andara. Eigentlich wie immer – bis ich plötzlich krank wurde. Richtig krank. Ich hatte ja öfter irgendwas: Arm gebrochen, Loch im Kopf, OP hier, Spital da… Meine Mama wollte immer vier Jungs, und dann hatte sie mich – und ich war tausend Mal schlimmer (ihr Zitat, nicht meins).
Aber diesmal landete ich im Buschspital. Das war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde: Über meinem Bett hing ein Wespennest, also blieb das Fenster offen – Mücken rein und raus, hallo Malaria. Kinder und Erwachsene drängten sich ans Fenster, um “die Mukuwa” – die Weiße – anzuschauen. Nebenan schrien Menschen, andere starben. Mittendrin brachten Frauen einfach so im Flur auf dem Boden ihre Kinder zur Welt. Meine Bettwäsche war mit fremdem Blut befleckt. Richtig gemütlich also.
Trotz all dem Chaos war da diese unglaubliche Wärme. Menschen, die kaum etwas besitzen, aber alles füreinander geben. Das hat mich geprägt (und auch ein bisschen abgehärtet).
Meine Mutter stand daneben und kontrollierte jede Tablette, jede Spritze, alles doppelt. Irgendwann wurden die Ärzte neugierig und wollten wissen, wieso sie das alles so gut kannte. Sie fragten, ob sie nicht irgendwie helfen könne – auch von der Schweiz aus. Für meine Mama war sofort klar: endlich ihre Aufgabe! Sie wollte schon immer irgendwo in Afrika leben und helfen. Wer sie kennt, weiß: Stoppen kann man sie nicht.
Zurück in der Schweiz ging es los. „Lauraaaa, hilf mir, eine Präsentation zu machen.“ Wir setzten uns zusammen, sammelten Ideen, packten Bilder und Gedanken in eine Präsentation – unsere erste gemeinsame Vision. Kein kompliziertes Konzept, keine großen Pläne – nur Herz und Feuer. Von Anfang an. (PowerPoint statt Businessplan – so fängt jede gute Geschichte an.)
Ein paar Wochen später war Mudiro geboren. 2014.
Von da an bin ich immer wieder zurückgekommen – manchmal für ein paar Wochen, manchmal für Monate. Ich habe Ärzte bekocht, sie durch den Busch gefahren, organisiert, gemacht, getan. Direkt im Krankenhaus habe ich nie gearbeitet – zu viel Trauma (jetzt können wir drüber lachen, damals nicht) – aber überall sonst war und bin ich mittendrin.
Manche Ärzte und das Krankenhauspersonal kennen mich seit diesem Aufenthalt. Wenn ich heute nach Andara komme, fühlt es sich nicht wie Urlaub an. Es ist Heimkommen. Ich habe Freunde dort, ein Leben, meine Dinge.
Und so, wie Mudiro gewachsen ist, bin auch ich gewachsen. Wir sind zusammen groß geworden. Am Anfang haben wir alle alles gemacht – es war klar, dass ich ein Teil davon bin. Heute habe ich eine klare Rolle: Vorstandsmitglied, Teamleitung, IT & Administration. Klingt erwachsen, fühlt sich aber immer noch nach Abenteuer an.
Meine Kindheit hat mir gezeigt, dass ich nicht für ein „normales Schweizer Leben“ gemacht bin. Oder meine Eltern haben mich einfach so großgezogen, dass es gar nicht möglich ist. Mein Zuhause ist überall dort, wo Staub, Freiheit und Herz zusammenkommen. Heute lebe ich in Bali, arbeite von dort – und trotzdem ruft Andara. Immer wieder.
Elf Jahre später stehen wir hier: Aus einer spontanen Idee ist eine große, professionelle Organisation geworden. Aber für mich ist es mehr als das – es ist ein Teil meiner Geschichte. Und ein Teil von mir.
— Laura Müller