Erfahrunsbericht von Andreas Rindisbacher
Über Tore, EKGs, Ultraschall und Fussballschuhe
Was macht der Nicht-Mediziner-Ehemann einer Ärztin bei Mudiro? Er denkt nach, was er tun könnte und macht es anschliessend. Das ist Möglichkeit eins. Möglichkeit zwei ist, dass Barbara und/oder Herman ihn einspannen. Das ist die wahrscheinlichere Variante. Ideal dabei ist, dass sich immer eine Kombination aus beiden Möglichkeiten ergibt. So wird einem bestimmt nie langweilig!
Nachdem ich mich im vergangenen Jahr darüber wunderte, dass das schwere Eingangstor zum Mudiro-Container zum Öffnen und Schliessen jedes Mal mühsam angehoben und getragen werden musste und dies bei unserem diesjährigen Eintreffen immer noch der Fall war, machte ich mich an die Arbeit. Kurze Lagebeurteilung, gefolgt von Besorgungen und Umsetzung. Noch heute sehe ich das Erstaunen in Hermans Augen in dem Moment, als wir das Tor miteinander in die Angeln hoben und die Konstruktion hielt. Nun dreht das Tor wieder ohne Kraftaufwand.
Regelmässiger Unterhalt ist definitiv DAS Thema in Namibia. Eine Sache ist entweder brauchbar oder kaputt, wobei brauchbar alles zwischen neu und endgültig unbrauchbar umfasst. So lottert, scheppert und quietscht manches, was als noch absolut brauchbar betrachtet wird und deshalb nicht geflickt wird, obwohl das leicht möglich wäre. Wasserhahn links kalt und rechts warm? Kein Problem. Hahn tropft? Auch kein Problem. Türscharniere ohne Schrauben? Kein Problem, denn eines hat ja noch Schrauben und zudem kann die Türe ja angehoben werden. Trotz vier Leuchten ist es schummrig im Raum? Dunkel kann nicht sein, denn eine Leuchte geht ja noch. Diese Liste könnte wohl unendlich weitergeführt werden, auch für das Spital Andara…..
Eines Morgens fragte mich Corinne, meine Frau, ob ich Zeit hätte, sie ins Spital zu begleiten. Eine Ärztin habe ihr gesagt, dass das EKG-Gerät defekt wäre. Zusammen sahen wir uns anschliessend besagtes Gerät an. Tatsächlich war die Kunststofffeder einer der Klammern gebrochen. Jemand hatte versucht, diese mit Klebeband zu reparieren, was natürlich nicht funktionieren konnte. So blieb das Gerät wohl seit einiger Zeit unbenutzt, weil keine Lösung da war. Bereits wollte auch ich aufgeben, da sah ich eine Kartonschachtel auf dem Boden in der Nähe zum Gerät stehen. Darin befanden sich zwei komplette Klammern, mit Federn. Somit war das Gerät innerhalb weniger Minuten wieder einsatzfähig. Grundsätzlich müssten auch alle Saugnäpfe wieder einmal überprüft und gereinigt werden, was aber nicht stattfindet, weil sich zwar oft Saugnäpfe lösen, dies jedoch nicht als „kaputt“ gilt, weil sie ja auch manchmal halten.
Einige Tage darauf begleitete ich Corinne erneut. Diesmal, um ein Ultraschallgerät zu überprüfen, dessen Display „kaputt“ wäre und bloss noch verschwommene Bilder anzeige. Wie sich rasch herausstellte, benötigte das Display lediglich eine Neukalibration sowie Nachjustierung von Helligkeit und Kontrast.
Gut, wie ein Ultraschallgerät aussieht, wusste ich inzwischen, aber damit hatte es sich auch bereits. Da sass ich nun in einem Raum der TB-Abteilung im Spital von Andara vor so einer doch eher komplizierten Maschine, nachdem ich zuvor von Sister Els und Dr. Patrick angehalten und aufgefordert wurde, die Sprache von Deutsch auf Englisch umzustellen. Ach ja, und die Formate für die gewünschten Ausgabedaten sollte ich doch auch gleich so einstellen, dass die Ärzte damit arbeiten können. Dass das Ultraschallgerät jetzt da stand, wo es stand, lag vermutlich einerseits daran, dass das Schwesterspital, welche dieses dem Spital Andara kostenlos zur Verfügung stellte, mit der deutschsprachigen Kommunikation ebenfalls nichts anfangen konnte und andererseits am Befehl der Spitaladministration, dass die TB-Abteilung der richtige Standort für ein Gerät sei, das zur Hauptsache für den Untersuch schwangerer Frauen vorgesehen war.
Glücklicherweise entdeckte ich die mit dem Gerät gelieferte deutsche Bedienungsanleitung. So war es möglich, die gewünschte Umstellung der Sprache rasch durchzuführen. Nachdem das erledigt war, informierte ich die Ärztinnen und Ärzte. Umgehend wurde eine hochschwangere Frau auf die Untersuchungsliege neben dem Ultraschallgerät gehoben, und ich muss zugeben, dass ich mich
dabei nicht wirklich wohlfühlte, da ich keine Ahnung hatte, was nun kommen würde.
Untersuchungsflüssigkeit wurde auf den Schallkopf aufgetragen, das Gerät wurde gestartet, und alles schien gut zu funktionieren, während die Bilder auf dem Bildschirm erschienen und alle Ärztinnen und Ärzte zufrieden lächelten. Nachdem Durchmesser und Umfang des Fötus Kopfes als Ergebnisse angezeigt wurden, gab es eine kurze Diskussion unter den Medizinern, und plötzlich spürte ich, wie alle Augen auf mich gerichtet waren. „Das Gerät zeigt das Volumen nicht an“, wurde mir mitgeteilt, „können Sie herausfinden weshalb?“ Da stand ich nun, wusste weniger als alle anderen im Raum – nun ja, abgesehen von der schwangeren Frau –, wurde als eine Art Zauberer angesehen und fühlte mich wie ein Zwerg. Ich sagte zu, es zu versuchen, aber dass ichzuvor am Wochenende das Handbuch durchlesen müsse. Jetzt war es definitiv an der Zeit, nach einem englischen Handbuch zu suchen, das ich glücklicherweise im Internet fand und gleich anschließend an alle Ärztinnen und Ärzte schickte.
Am darauffolgenden Dienstagmorgen wurde wie erwartet erneut eine schwangere Frau als„Versuchskaninchen“ beigezogen. Meine Hoffnung, dass auch jemand anderes als ich das englische Handbuch teilweise gelesen haben könnte, schwand umgehend, als die „Versuch-und-Irrtum-Sequenz“ von Neuem begann, diesmal mit drei Ärztinnen und Ärzten. Im Hintergrund stehend erwähnte ich, dass ich im Manual einen Abschnitt über diverse landesübliche Protokolle gelesen hätte und dass dies eventuell der nächste zu überprüfende Schritt wäre. Kurzes Innehalten, gefolgt von Tastenklappern und erlösendem Lachen der ausführenden Ärztin. Das Ergebnis für das gesuchte Volumen war da und alle Anspannung verschwunden. (OK, das war jetzt die Kurzfassung).
Während des gesamten, vielleicht dreistündigen Prozesses musste der dicke Bauch der Frau immer wieder herhalten. Nie erhielt SIE die Gelegenheit, zu sehen, worüber alle anderen intensiv sprachen. Schließlich wurde sie entlassen, um wieder auf ihr Zimmer zu gehen. Auf dem Weg nach draußen murmelte sie, dass sie erst in zwei Monaten wieder ins Krankenhaus kommen würde, worauf Dr. Patrick antwortete, dass sie dann wahrscheinlich ihre Tochter bereits auf dem Rücken tragen würde.
Sollten Sie nach dem Lesen meines Berichtes finden, dass mein technischer Einsatz doch eher leichtsinniger Natur war, liegen Sie damit natürlich absolut richtig.
Im Mudiro Container sassen wir beim Apero, als uns Olaf vom Tor her scheu zuwinkte. Einige Tage zuvor lernten wir ihn kennen, als wir ihn stark hinkend von einem Fussballplatz in Richtung Andara weglaufen sahen und fragten, ob er mit uns mitfahren wolle, was er natürlich gerne wollte. „Beim Hinfallen habe ich mein Knie verletzt“, erwähnte er, und weiter, dass seine Strassenschuhe auf dem Sandplatz halt keinen Halt böten. „Ja, da müsstest du richtige Fussballschuhe haben, damit dir das nicht passiert“, gab ich zur Antwort und dachte mir nichts weiter dabei. Ein öffentliches Transportwesen ist in Namibia weitgehend inexistent, weshalb viele Schulpflichtige in Schulheimen wohnen. So auch Olaf, von dem wir uns beim boys hostel in Andara verabschiedeten.
Nun stand er also am Tor, zusammen mit zwei Kollegen. Wir begrüssten uns, und organisierten etwas zu trinken. Bald kamen wir zum Thema. „Du hast doch gesagt, dass wir richtige Fussballschuhe haben sollten“, sagte Olaf, gefolgt von „Meine beiden Kollegen und ich haben das leider nicht!“
Da war er also wieder einmal, der „Afrikamoment“. Jeder Besucher, jede Besucherin ist aus der Sicht der lokalen Bevölkerung unendlich reich, was im Vergleich ja der Wahrheit entspricht, die zu akzeptieren ist. Würden wir selbst in derselben Situation nicht auch nach dem Strohalm greifen, der da plötzlich greifbar scheint? Gut, Fussballschuhe sind auch in Namibia eine andere Nummer als die üblichen Trinkgelder. Corinne und ich überlegten kurz und kam zum Schluss, kurzzeitig ins Fussballsponsoring einzusteigen.
Die Jungs wussten natürlich bereits, wo es die ersehnten Schuhe in Divundu zu kaufen gab. Meine Frage nach dem Preis führte zu plötzlicher Verlegenheit und keiner wollte eine Zahl nennen. Für sie war der schwindelerregende Preis von 500 Namibiadollar pro Paar die alles entscheidende „Killerfrage“. Anders für Corinne und für mich. Wir sahen drei Jungs, die sich extra herausgeputzt hatten und den Mut aufbrachten, meine Olaf gegenüber geäusserte Bemerkung: „da müsstest du
richtige Fussballschuhe haben“ als hoffnungsvollen Strohhalm umzudeuten und zu ergreifen.
Am vereinbarten Termin erschienen sie – entgegen der allgemeinen Sitte – eine Viertelstunde zu früh. Die Fahrt nach Divundu verlief weitgehend wortlos und die Erwartung der drei war gut zu spüren. Bald hatte jeder seine Fussballschuhe ausgewählt (jeder eine andere Marke!) und nach Fotoshooting und für mich fast unerträglichem Dankeszeremoniell fuhren wir begleitet von frohem Lachen wieder Andara zu. „Wenn wir das nächste Mal zu Mudiro kommen, besuche ich euch im boys hostel um zu erfahren, ob ihr das Turnier gewonnen habt! Sie versprachen, dies sowieso zu tun.
— Andreas Rindisbacher