Steter Tropfen höhlt den Stein

Ich bin nach drei intensiven und abwechslungsreichen Wochen mit einem sehr guten Gefühl von meinem dritten Mudiro-Einsatz aus Namibia abgereist. Wegen Diyeve, dem sehr motivierten und engagierten Health Assistant in Andara; einem klärenden Gespräch in Nyangana; dem neuen Therapieteam in Rundu und nicht zuletzt, weil ich Mudiro als motiviertes, engagiertes und aktives Team erlebt habe. Nun aber der Reihe nach.

Den grössten Teil meiner drei Einsatzwochen verbrachte ich in Andara. Gegenüber dem Einsatz im Juli 2021 fielen mir sofort für mich wichtige Änderungen im Spital auf. Der neu abschliessbare ‘Physioraum’ war schon bereit (Therapieliege, Bett mit Bettgitter als Haltemöglichkeit für Steh- und Gehtraining, Walker) und er soll auch ohne Präsenz einer Mudiro-Physiotherapeutin für die Aktivierung der Patienten zur Verfügung stehen! Die Physiotherapie scheint also definitiv im Spital Andara angekommen zu sein.

Anders als bei meinem letzten Einsatz, bei welchem ich mehr auf mich allein gestellt war, stand mir diesmal ein sehr motivierter und einsatzfreudiger Health Assistant zur Seite, Diyeve. Er soll eine Patienten-aktivierende Rolle im Spital Andara übernehmen, ist interessiert und wissbegierig. Zu Beginn planten wir häufig Teaching-Stunden ein, bei welchen wir anfänglich Hintergründe und Theorie besprachen und anschliessend zuerst an uns die praktische Umsetzung übten, bevor wir die Patienten behandelten. Dabei merkte ich, dass Diyeve bereits vorher stets versucht hat, die Patienten aus dem Bett zu nehmen und sie zu mobilisieren, ihm aber bei manchen Aktivitäten das passende Handwerk dazu fehlte. Somit ging es bei unseren Lehrstunden einerseits um einfache Sachen wie die Bedienung eines Rollstuhls mit Bremsen und Entfernen/Anbringen der Fussraster und Armlehnen, andererseits um Transfers von Patienten in den Rollstuhl, Bettrandmobilisation, Durchbewegen der Gliedmassen und Instruktion einfacher Übungen zur allgemeinen Kräftigung. Zusätzlich ging es auch darum seine Berührungsängste abzubauen. Während meiner beiden Tage in Nyangana konnte Diyeve das Gelernte jeweils ohne meine Anwesenheit umsetzen und erste Erfahrungen sammeln. Danach besprachen wir aufgetauchte Probleme und suchten dafür passende Lösungen. Bei der täglichen Arbeit bemerkte ich Pflegefachpersonen, die immer mal wieder neugierig um die Ecke schauten, was Diyeve und ich denn da eigentlich machten. Diese Neugierde fanden wir sehr positiv.

Schade war, dass ich von einigen meiner letztjährigen Inputs nichts mehr bemerkte. Es standen keine Stühle neben den Betten, welche zu einem längeren Sitzen anregen würde. Diese waren wieder weggeräumt worden. Auch die Vorteile eines höhenverstellbaren Bettes wurde offenbar von den meisten noch nicht erkannt. So stehen diese meist frei in den Zimmern und grosse schwerbetroffene Patienten müssen mühsam aus den tiefen Betten mobilisiert werden. Diyeve hat diese Inputs nun aber dankbar wieder aufgenommen. Ich bin gespannt, was die nächste Physiotherapeutin nach ihrem Einsatz diesbezüglich berichten wird.

Die Tage in Andara habe ich jeweils mit dem Ärzterapport im Board Room begonnen. Da werden vom diensthabenden Arzt die wichtigsten und interessantesten Fälle des Abends und der Nacht oder vom Wochenende vorgestellt und besprochen. Dies nutzte ich vor allem, um mein Englisch zu verbessern und mein eigenes klinisches Denken so weit als möglich zu schulen. Allein schon durch meine Präsenz war den Ärzten die Physiotherapie bewusster und sie meldeten während ihren Runden auf den Wards deutlich mehr Patienten für die Therapie an. Zudem wurden am Rapport auch Spital-Alltagsprobleme besprochen. Zum Beispiel gibt es weiterhin sehr viele Patienten, die lieber vom lokalen Medizinmann behandelt werden und erst ins Spital kommen, wenn es häufig schon zu spät ist. Zudem wurde deswegen im Spital beim Durchgang zu den Wards eine Türe montiert, um besser kontrollieren zu können, wer die Patienten besucht. Ob sie ihren Zweck erfüllt, ist unklar. Ein weiteres Thema war, dass die Patienten, wenn immer möglich mit dem Spitalbus nach Rundu wollen, obwohl die Ärzte in Andara die Befundresultate genauso gut interpretieren und Behandlungen starten könnten. So können die Patienten den Arzt- oder Therapiebesuch aber gleich mit Shopping in der Stadt verbinden, was verständlich ist, aber natürlich nicht ganz dem Sinn dieser Transporte entspricht.

Am 2. Mai, einem Feiertag, führten wir einen Outreach-Tag durch. Hermann fuhr mit mir die Runde Shamaturu-Shamunaro-Shaditata. An diesen Orten behandelte ich die extra für die Physio herbestellten Patienten und wir brachten verschiedene Alltagsutensilien, wie Zündhölzer, Schuhe und Wasserkanister mit. Wir besuchten auch den alten Mann, welchen ich im Juli 2021 in Andara behandelt habe. Er hat sich sehr über unseren Besuch gefreut und die gezeigten Bilder und Videos von damals haben ihn amüsiert. Zum Schluss unserer Runde fuhren wir bei Kaveto vorbei. Ihn haben wir, wie vorher abgemacht, für eine intensive Kurzreha für eine Woche nach Andara ins Spital genommen. Dort haben Diyeve und ich ihn zweimal täglich behandelt und ihm so viele Inputs wie möglich mitgegeben. Hermann brachte

ihn danach nachhause zurück. Dort haben sie mit den Angehörigen einen Handlauf gebaut, damit Kaveto seine Gehfähigkeit weiter trainieren kann.

Natürlich haben wir auch wieder Osward in Shamangorwa besucht. Ihn habe ich im Sommer 2021 das erste Mal behandelt. Seither versucht er sein Heimprogramm auszuführen und wurde von den weiteren Mudiro-Physiotherapeutinnen in ihren Einsätzen behandelt. Es war schön, wie er sich auf meinen Besuch gefreut hat und stolz seine Fortschritte präsentierte. Ich konnte seine Übungen anpassen und sogar Gehhilfsmittel reduzieren. In meiner Begleitung sind ihm auch einige Schritte ohne Hilfsmittel im Sand gelungen!

In der ersten und zweiten Woche war ich jeweils einen Tag in Nyangana. Für mich war das eine Premiere. Das Spital machte einen sehr guten Eindruck. Es gibt viele Stationen zum Hände waschen, sowie Händedesinfektionsmittel. Die Rollstühle sind in gutem Zustand. Es hat viele höhenverstellbare Betten und alles wirkt aufgeräumt. Schnell war mir klar, dass Sister Lovely mit ihrem Führungsstil dafür verantwortlich ist. Am ersten Tag arbeitete ich mit Alex zusammen, einem Health Assistant, welcher für die Weiterbetreuung einiger Langzeitpatienten im Spital zuständig ist. Auch ihm konnte ich Mobilisationstechniken und Aktivierungs- und Kräftigungsübungen für die einzelnen Patienten zeigen, welche er dann täglich anwenden wollte. An meinem zweiten Tag in Nyangana zeigte sich dann aber, dass Alex nicht wie abgemacht täglich zur Mobilisation bei den Patienten vorbei ging, sondern nie. Zudem wurde mir nicht mehr Alex, sondern ein Porter zum Übersetzen zur Seite gestellt.

Somit nahm ich den zweiten Tag etwas konsterniert in Angriff. Am späteren Nachmittag konnte ich meine leichte Unzufriedenheit konstruktiv mit Sister Lovely besprechen. Sie holte umgehend Alex und die Abteilungsleiterin der Ward dazu. Wir erläuterten die Probleme der einzelnen Personen bei der Umsetzung und fanden gemeinsam bessere Lösungen. Ich bin nun guten Mutes, dass die Patienten von Nyangana durch Alex profitieren können und mobilisiert werden. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass eine positive, aber klare Kommunikation von allen Beteiligten wichtig ist.

Zum Abschluss meines Einsatzes war ich noch kurz zu Besuch in Rundu. Ich war im Jahr 2020 schon einmal da, seither hat sich im Therapy-Department viel getan! Die eher unmotivierte alte Garde ist nicht mehr da, stattdessen sind seit März 2022 nun je ein junger engagierter Physio- und Ergotherapeut angestellt, sowie ein Medical Rehabilitation Worker, welcher die beiden unterstützt. Das Department soll weiter ausgebaut werden und mit Therapeuten im Einsatz durch Mudiro unterstützt werden. Ich war für eine erste Kontaktaufnahme vor Ort und war sehr positiv überrascht. Die Räumlichkeiten sind aufgeräumt, die Geräte werden, wenn möglich repariert und nicht einfach nach Ersatz gefragt und Patienten sind emsig am Eigentraining und werden aktiv behandelt. Zudem haben die Therapeuten mich herzlich empfangen und ein erster fachlicher Austausch hat bereits erste Inputs und Ideen für weiteres ergeben. Ich bin überzeugt, dass dieses neue Therapieteam einen grossen Mehrwert für die ganze Region bietet, denn mit angedachten Outreach-Tagen werden sie die bereits von uns angelernten Health Assistants Diyeve und Alex weiter unterstützen können. Zudem wird das Mudiro-Physioteam durch seine jeweils langjährige Arbeitserfahrung im klinischen Alltag gute Hilfen und Inputs bieten können und es kann ein Austausch auf Augenhöhe stattfinden

Viel zu schnell gingen diese drei intensiven, abwechslungs- und lehrreichen Wochen vorbei. Ich darf sagen, dass die Physiotherapie im Kavango West und Ost nun angekommen ist. Diyeve und Alex werden die Patienten mobilisieren und aktivieren und können zum Beispiel auch bei chronischen Rückenschmerzen Kräftigungsübungen instruieren. Das Therapy Department in Rundu scheint in gutem Aufbau zu sein. Und doch müssen sie alle mit den Tücken des täglichen Lebens kämpfen. Wie hier in der Schweiz ist es auch im Norden Namibias schwierig aus alten Gewohnheiten auszubrechen, Neues auszuprobieren und zu implementieren, den gewohnten Alltag etwas anders zu gestalten und möglichen Neidern oder Verständnislosen entgegenzutreten. Die Wichtigkeit und Akzeptanz der Mobilisierung und Aktivierung der Patienten müssen erst durch positive Erfahrungen erarbeitet werden. Steter Tropfen höhlt den Stein! So werden wir es schaffen gemeinsam wichtige kleine Schritte vorwärtszumachen. Zudem habe ich beim emsigen Treiben des Mudiro-Teams das Feuer gespürt und bin stolz mit meinem Einsatz eine kleine Flamme davon zu sein.

~ Ursula Stoll, Physiotherapie