Reisebericht Pierre Jordan: Das Unerwartete

Der Anfang ist immer schwer, wie ein Sprung ins Wasser, könnte man fast sagen. Vieles schwebte mir durch den Kopf, als ich in Kapstadt eincheckte für den Flug nach Windhoek – mein kurzes Treffen mit Barbara auf einen Kaffee am Berner Hauptbahnhof Ende 2019, wie Covid den geplanten Einsatz über Ostern 2020 verunglimpfte, und dasselbe nochmals für September. Nun ist es endlich soweit, aber worauf ich mich einlasse, weiss ich nicht so genau. Mal sehen, aber eine gewisse Unsicherheit war doch da. Kann ich einen Beitrag liefern, wie komme ich an, muss ich eine lokale Sprache lernen (und welche, Ovambo oder Hambukushu oder Otjiherero …?). Unter dem Flugzeug die endlosen Weiten Namibias, die ich lieben gelernt habe – alles grün. Ich musste dabei ein bisschen staunen, Namibia, in grün gekleidet? Aber dann wusste ich, es wird gut.

Mein Einsatz fing mit zwei Wochen in Rundu an,  eine rund 700 Km Fahrt lag vor mir, also beschloss ich die erste Nacht in Otjiwarongo zu schlafen, bei der Krokodilfarm von Dieter Nölle. Das Oryxsteak und der Salat dazu, das Ganze mit Blick auf den Garten war hervorragend, und die Bewirtung noch schöner. Der Weg von Windhoek gen Norden ist lang, aber die grossen Verbindungstrassen zwischen den Zentren sind gut , die Autofahrer fahren nicht langsam, nehmen aber Rücksicht (Windhoek ist da die Ausnahme).

Viele Wildfarmen und auch Farmen mit Viehzucht gab es zwischen Windhoek und Rundu. Näher an Rundu gab es Busch statt Wildzäune, und man sah nun sporadisch die gepflegten und umzäunten Höfe der Familiensippen. In Rundu traf ich Toni, der mich gleich zu meiner gehobenen Unterkunft (im 1. Stock) nahm und mir zeigte wo das Krankenhaus ist. Abendessen in der Lodge und ein leckeres Steak schlossen den Tag gebührend ab. Draussen im Dorf das Bellen der Hunde in die Ferne, Kinderstimmen kurz vor dem Einschlafen, Stimmen und Gelächter von einigen Leuten,  die noch nicht schliefen. So klingt Afrika.

Rundu hat ein Bezirkskrankenhaus, empfängt Patienten von umliegenden und weiten Kliniken und Krankenhäusern und versucht mit wenig Personal (die wegen Covid doppelbelastet sind) die Menschenflut zu bewältigen. Nach einem Willkommenheissen vom Chefarzt, Dr Mukurenge und zwei Führungsärzten,  Dr. Margaret und Chibwe, ging es gleich los – zuerst Stationsbesuch (ein Arzt für männliche, einer für weiblich Patienten) mit der Oberschwester und einem  Gehilfen. Das ist ein Erlebnis – erstens ist die Umgangssprache English, weil das Personal aus allen Himmelsrichtungen kommt: Zimbabwe, Tansania, Uganda, und Sambia, somit ist die lingua franca nun Englisch. Zweitens sind das Niveau und die Kenntnisse der Ärzte beeindruckend, und wir konnten uns austauschen über Differentialdiagnose von Anämie bei einem jungen Patienten, der regelmässig Transfusionen braucht, (eine WhatsApp an einen Kollegen verschaffte  Aushilfe). Und letzteres,  das Spektrum an Leiden und Pathologie – Koma wegen Neurocystizerkose, virale Hepatitides mit Transaminasewerte in den Tausenden, Vitaminmangel und Unterernährung. Ich schaue mir die Laborbefunde an und liefere Kommentare,  wenn nötig, aber ich höre so viel wie möglich zu, weil so viel neu und unbekannt ist. Die Kollegen sind offen und entgegenkommend, beantworten die, zum Teil, dummen Fragen des neuen Europäischen Arztes freundlich und auch mit einem Lächeln. Man hat viel zu lernen, und beim Outpatients hat sich schon eine Schlange Patienten gebildet, die geduldig  auf den Arzt warten.

Die medizinische Versorgung ruht meistens auf den Schultern von Medical Officers, Allgemeinärzten, die mehr oder weniger Jahre nach der Ausbildung gearbeitet haben. Fachärzte gibt es keine – dafür müssen Patienten nach Katutura Hospital transportiert werden, und wegen Covid sind alle Überweisungen bis auf Weiteres gestoppt. Ob die Patienten eigentlich wissen, wie gut sie versorgt werden? Ohne Pause arbeiten wir, von 8 Uhr morgens bis zum Mittagessen, und wieder bis 5 oder spät nachmittags. Mir wird eine Krankenschwester zugewiesen, ich nehme Anamnese und stelle aufeinanderfolgende Fragen. Bis die Diagnose klar ist, bespreche es kurz mit dem Kollegen Dr Lloyd Mhakweta nebenan im Sprechraum. Wir sehen uns die Laborwerte oder die Röntgenbilder an, überlegen, ob das Narbengewebe in einer Tuberkuloselunge ist und ob ein neuer sekundärer Infekt vorliegt.  Die Entscheidungen sind nicht eindeutig, man freut sich über den Kollegen, der mitdenkt und überlegt,  ob eine Patientin in zwei Wochen oder zwei Monaten zur Nachuntersuchung kommen muss. Die Apothekerin meldet sich, sie fragt ob die Dosis so stimmt. Wer neu ist hier,  hat viel zu lernen; die die länger hier sind, kennen sich aus mit den Medikamenten auf Lager (manches ist ¨out of stock¨) .

Als Besucher kann man Fragen stellen. Die Röntgenbilder sind hervorragend, also marschiere ich zum X-Ray Department, stelle mich vor und mache dem Verantwortlichen ein Kompliment. Er freut sich, und zeigt mir stolz das CT Scanner, wofür er auch verantwortlich ist. Jeder Arzt liest seine eigenen CT Scans. Das System ist alt, aber leistet wertvolle Arbeit. Leider ist der Datenspeicher seit zwei Jahren kaputt und eine Reparatur kann man sich nicht leisten, deswegen muss für jede neue CT Scan eine ältere entfernt werden. Ich stelle Fragen, rufe MedTech in Windhoek an, recherchiere, was, wo, wann. Ein freundlicher Mann hat Verständnis und bietet an uns zu helfen. Er muss in einer Woche sowieso nach Rundu kommen für das Geschäft, er wird dann nach der Arbeit vorbeikommen und uns ein generisches Paket aufladen damit Rundu wieder die CT Scans speichern kann. Diese ¨zusammen schaffen wir es schon¨-Einstellung fand ich überall in Namibia, alle wollen helfen. (Red: Nicht alle können dann auch helfen, aber das in einem anderen Bericht). Aber bevor Francois das Computerprogramme hochladen kann muss Miriam, die Haupt-IT-Expertin des Krankenhauses,  das System neu aufsetzen und alle USB-Zugänge entkuppeln,  damit keine neuen Viren das System in der Zukunft lahmlegen können.

Die zwei Wochen in Rundu eilten davon. Das Wochenende dazwischen verbrachte ich allein in der Kaisosi Lodge, freute mich über die Stille, den schönen Ausblick aus den Bungalow am Wasser (Barbara kennt fast alle Lodge-Eigentümer und besorgt uns immer die besten Bungalows) ich habe Zeit die Woche noch nachklingen zu lassen und zur Ruhe zu kommen. Trotz Flussnähe und üppigem Mückenschutz meldeten sich kaum Mücken – die angenehmen, winterlichen Temperaturen sorgten dafür. Das Essen draussen ist herrlich, hier kann man immer gut Fleisch essen und ich staune, darüber,  denn die Läden sind mäßig gefüllt,  der Salat zum Essen ist frisch und gut vorbereitet . Nur abends in der Lodge kommen  einige wenige Besucher, die meisten reisen am späten Nachmittag an und reisen morgens einzeln ab, somit sind die Tage still und herrlich.

Vorgesehen ist nun zwei Wochen in Andara, beim  Container Village, aber um dorthin zu kommen fahre ich mit einem neuen Freund (man findet hier schnell zum anderen, jeder wird wertgeschätzt) Die halbe Strecke gehts zurück nach Windhoek und ich verbringe das Wochenende in Otavi auf Gabus Game Lodge. Wegen Covid musste man wieder anfangen Vieh zu züchten (im Nachhinein sehr clever), aber die Tiere kommen abends zur Lodge, um Wasser zu trinken und die Gäste essen unter einem offenen Dach und lauschen den  nächtlichen Geräuschen und schauen die Tiere an,  die näherkommen , während wir essen. Das Essen ist vom Feinsten, schmackhaft vorbereitet von Heidi und schön präsentiert, eine schöne Überraschung, weil wir unter der Woche doch etwas spartanisch leben. Nach dem Frühstück (und den leckersten Obstsalat mit frischen Feigen) folgt ein 2-Stunden Rundweg zum Berg. Die Tour wird dann eine Detour und ich komme  Querfeld zurück und muss dabei den Berg hinunterklettern. Unterwegs find ich Feldkost, Maroelas, die nach dem üppigen Regenjahr voll Wasser sind und den Durst löschen, und wilde Rosinen (Grewia flava). Namibia hatte ein ausserordentliches Regenjahr, auf Gabus fiel mehr als 1000 mm. Am nächsten Morgen früh fahren wir durchs Feld und erleben den Sonnenaufgang und die eleganten schwarzen Wildebeester. Der Morgenwind ist frisch und kühl und tut gut. Unser Geländewagen bleibt stehen (das gehört zu einem richtigen Game Drive!) und trinken Kaffee mit Biscuit (Zwieback) dazu bis die Abhilfe kommt. Das Leben ist gut.

An dem Montag kommen dann Barbara und Edi und nehmen mich mit nach Andara. Edi ist ein erfahrener Afrikareisender, Gynäkologe aus Bern (aber ansonsten eigentlich ganz in Ordnung), er  begegnet dem Leben mit  innerer Ruhe und Gelassenheit und mitunter mit einem stillen Schmunzeln. Wir werden die nächsten 4 Wochen zusammen arbeiten. Auf dem langen Weg nach Andara (Barbara ist Profi Land Rover Fahrer, und Land Rover Fahrer verbringen länger unterwegs als alle anderen) lerne ich beide besser kennen, wir tauschen Gedanken und Erfahrungen aus. Lange Strecken sehen wir uns das Feld an, die schöne Landschaft, die am Anfang und bis nach Grootfontein abwechslungsreich ist und dann allmählich eindimensional wird.  Nur die Bäume und Gebüsch ändern sich in Höhe und Auswahl nach jeden 20 bis 30 Km. Die ersten Palmen kündigen den Beginn des  Ovambolandes an, und in unregelmässigen Abständen erscheinen kleine Gehöfte, mal kleiner mal grösser, mal mit Ziegen oder Vieh, ab und zu mit Hühnern. Kinder spielen im Sand mit Selbstgebasteltem. Wir reden und schweigen zusammen – reden kann man mit allen, aber erfülltes Schweigen kann man nur mit Freunden. Die Asphaltstrasse wird eine Schotterstrasse, die mit jeder Kurve kleiner wird, dann die ersten kleine Hütten, ein kurzer steiniger Feldweg, und plötzlich sind wir beim Container Village, das ¨Hauptquartier¨von Mudiro. Man streckt sich aus, packt den Koffer in einem Containerzimmer mit Bett, Schrank und Holzböden, und entspannt sich.

Am nächsten Morgen melden wir uns um 08h00 bei Dr. Mariwa an, ein kurzer, gediegener Arzt,  der zusammen mit der Oberschwester das Krankenhaus leitet. Wir werden dem Personal vorgestellt, Ärzten wie Schwestern und allen anderen, die im Krankenhaus arbeiten. Jeder hat eine Rolle ,  sofort spürt man einen anderen Geist, fast wie in einer Familie. Das Krankenhaus war ein Missionskrankenhaus, dieses Erbe spürt man, wenn sich  Montagmorgens das gesamte Personal  vorm grossen Warteraum versammelt. Gäste werden willkommen geheissen, es wird gesungen und jemand spricht ein Gebet. Dann ist Dr. Mariwa dran und das neue Personal wird vorgestellt und willkommen geheissen, andere werden  verabschiedet, alles mit Humor und Charme. Dann folgt eine Erinnerung an Covid, und die offiziellen Abkündigungen und relevante Nachrichten. Am Schluss nickt man sich freundlich zu, einige gehen im Gespräch zu ihren Abteilungen, die Woche kann beginnen.

Andara ist ein altes und etabliertes Bezirkskrankenhaus mit einem guten Ruf hierzulande. Weiter im Osten liegt Katima Mulilo in 400 Km Entfernung. Westlich liegt Rundu, das Gebietskrankenhaus, 200 Km entfernt, und Nyangana etwa 100 Km. Wie bei allen anderen Krankenhäusern, steht jetzt beim Eingang vorm Krankenhaus ein offenes Zelt mit Stühlen,  wo Patienten und Besucher empfangen werden. Jeder wird zuerst  ins Register eingetragen, auf Covid befragt, und die  Temperatur wird gemessen.  Alle tragen Masken, auch die Patienten.

Wir schliessen uns dem morgentlichen  Meeting der Ärzte an, wo die Patientenstatistik erfasst wird, neue Zulassungen,  die in der Nacht in Notaufnahmen gesehen wurden,  werden vorgetragen und kurz diskutiert und der Tagesablauf wird abgesprochen. Danach folgt der normale Tagesablauf – Stationsbesuch, ein kurzer Blick in die Notaufnahme , die allmählich auf Hochtouren läuft und dann nach OPD, das Outpatient Department für den Rest des Tages. Es gibt keine Kaffeepausen, weder am Vormittag noch am Nachmittag. Die Patienten werden nach Beschwerden geordnet, Probleme im Unterleib werden Edi vorenthalten, und Herzkreislauffälle werden mir zugewiesen. Myokardinfarkt ist hier ein interessantes Thema, man gibt sich Mühe mit den Symptomen und Labor- und EKG-Diagnose, aber Infarktpatienten gibt es hier kaum. Manche Patienten haben Schmerzen im Rücken-, Brust- und Bauchbereich, bei vielen einfach überall, Kinder präsentieren sich meistens mit Husten oder Durchfall, sonst kleine Verletzungen oder Abszesse. Erfahrene OPD-Krankenschwestern versorgen die einfacheren Beschwerden, zum Beispiel Nachbesuch nach einer Verletzung oder Hochblutdruck. Wenn das Problem noch nicht gelöst ist, warten sie auf einen von den Ärzten. Man nimmt sich Zeit für die Anamnese und Untersuchung, und wenn nötig Labortests. Die Unruhe und den Zeitdruck von Rundu kennt man hier nicht. Am Freitag gibt es ¨Grand Round¨. Alle sind eingeladen, man führt einen Patienten vor, zeigt beispielhaft , wie gute Pflege zur Genesung beiträgt, erinnert alle an ¨Best Practice¨ Prozeduren, und tadelt einen Krankenpfleger, der die Arzt-Aufträge nicht ausgeführt hat. Jeder spürt, dass er oder sie etwas beitragen kann, und man lernt dabei,  was im Krankenahaus abläuft, und wie ein einfacher Eingriff , zum Beispiel  einen alten Patienten täglich eine Stunde im Rollstuhl in der Sonne sitzen zu lassen, diesen  wieder aufleben lässt. Es geht um Verantwortung für den Anderen.

Nach zwei Wochen in Andara packen wir die Koffer und beginnen allmählich die Fahrt zurück nach Windhoek. Davor aber noch die letzte Woche in Grootfontein. Man merkt, das die Zivilisation näher rückt, es gibt Banken und mehrere Läden, hier und dort ein Restaurant. Wir grillieren hier alle zusammen, inklusiv unserer Wirte Max und Irmgard,  die ein BnB (Bed and Breakfast) im Dorf haben wo Edi und ich die nächste Woche unterkommen werden.  In der Schweiz ist ein Fleischgrill ein Festessen, man muss sich darauf vorbereiten, aber hier ¨schmeisst man schnell ein paar Kilo Fleisch auf die glühenden Kohlen¨ im Lokaljargon und erst dann überlegt man, was man essen will. Für den Preis von 100 Gramm  Fleisch in Europa ,  bekommt man in Namibia fast ein Kilo Fleisch. Wir plaudern bis spät, trinken ein Gläschen zusammen, Edi schliesst diesen Abend (wie alle anderen) ab mit einer behaglichen Zigarre (es gibt zwei Sorten; 30 Minuten Zigarren und eine Stunde Zigarren, habe ich gelernt). Wir kommen aus allen Himmelsrichtungen, jeder hat eine Geschichte und der Grund seines Daseins ist mal so, mal so, aber das,  was uns vereint, ist die Liebe für dieses Land und seine Menschen. Über uns funken die Sternen.

Am nächsten Tag, einem Samstag, fahren wir nach Tsumkwe,  statt zu einer Lodge. Nach 200 Km Sandstrassen erreichen wir das Mangetti Dune Health Centre, offiziell Tsumkwe State Hospital.  Angeberischer Titel für ein kleines Krankenhaus am Ende der Welt, mitten im Buschmanland. Die letzten Strommasten sind 100 Km entfernt, das Dörflein hat nur tagsüber Strom,  dank eines Stromgenerators. Beim Eingang wird eine Hightech Fotovoltaikanlage gebaut, dank einer Spende der WHO. Quer im Eingang steht ein Tisch,  wo Patienten sich anmelden und eingetragen werden. Dort  sitzt gleich die einzige Ärztin, Frau Dr Marita Bossart, die seit 1989 die Alleinverantwortung für das Krankenhaus trägt. Sie ist schon pensioniert, und es haben sich schon andere gemeldet, um zuerst zu helfen und dann, hoffentlich, zu übernehmen, aber sie sind nicht geblieben. Die kleine Figur trügt, sie hat ein leichten Rhythmus gefunden,  die zu ihrem starken Willen passt. Alles läuft trotz allen Kompromissen,  wegen Geldmangel und fehlenden  Investitionen, wie am Schnürchen. Man kann nur still werden und staunen. Wie kann man Menschen danken,  die ihr ganzes Leben anderen widmen?

Wir sehen uns die Krankenabteilungen und Patienten an. Es sind wenig Patienten. Zufällig wurde eine ältere Frau vor wenigen Tagen mit Cor Pulmonale zugelassen, eine schwere Krankheit von  Herz und Lunge,  die komplex zu behandeln ist, weil zu viel oder zu wenig Therapie zum Tod des Patienten führen kann. Wir untersuchen die Frau, schauen uns die Laborwerten an, dann machen wir ein EKG. Zuletzt schaue ich mir die Therapien an und muss feststellen,  dass ich keine Verbesserungen vorschlagen kann, die Patientin wird optimal behandelt. ¨Buschmedizin¨ mit Liebe und Zuwendung reicht in den meisten Fälle völlig aus um Leben zu retten.

Am späten Nachmittag sind alle Patienten, auch die ambulanten, versorgt und wir gehen mit Marita und in Begleitung ihres Hundes zu Fuss na Hause, ein Asbesthaus, das ursprünglich als Haus des Kommandanten des Militärpostens diente. Wie auch an anderen Stellen hinterließen die Südafrikanischen Truppen diese Siedlungen am Ende des Buschkrieges. Sie hinterließen mehr als nur die Gebäude, wie hier das Krankenhaus (ehemaliges Hauptquartier) und die Häuser, sie hinterließen auch Gewohnheiten,  zum Beispiel  Alkoholmissbrauch,  den die einheimische Bevölkerung, wie hier die San oder Buschmänner, schlecht ertragen und der  viel Leid mit sich brachte.

Die San haben hellere Hautfarbe und sind viel kleiner als die anderen Völker. Sie reden und lachen gerne, und die Klicklaute folgen einander wie aus einem Maschinengewehr,  wenn sie aufgeregt sind. Sie haben hübsche, offene Gesichter und Augen die funkeln, wenn sie lachen. Ein Waisenhaus mit etwa 18 Kinder liegt gerade hinter dem Krankenhaus, und Marita hat sich ihnen angenommen. Wenn der Zucker alle ist, oder ein Mobiltelefon mit Prepaid geladen werden muss, kommen zwei oder drei Kinder spontan und wissen Dr. Maritha wird aushelfen und weiss wie. Es geht zu, wie in einer Grossfamilie, man ist selbstverständlich füreinander da, am Tag und nachts, keine Frage, und zu essen gibt es auch immer etwas. Ob es diesen Kindern bewusst ist,  wie privilegiert sie sind, etwas wie eine Patentante oder Oma zu haben, das weiss ich nicht, aber irgendwann, wenn sie grösser sind und das Leben hart wird, werden sie sich erinnern, dass jemand zu ihnen gestanden hat , als sie beide Eltern verloren hatten.   

Wie oft zuvor gibt es frühmorgens eine Entbindung mit Komplikationen. Edi hat die Patienten schon am Vortag untersucht. Er geht allein den Sandweg zum Krankenhaus und ist nach einer halbe Stunde wieder zurück, das Kind und die Mutter sind wohlauf.

Wir fahren den langen Weg zurück nach Grootfontein, es herrscht lange Stille, wir sind alle angetan von dem , was wir erlebt haben. Barbara kommt oft und gerne nach Mangetti, denn wo sonst wird man früh am Sonntagmorgen im Busch geweckt mit herrlicher Opernmusik? Nessun Dorma, wohlgemerkt, davon sind einige angetan,  aber andere schätzen es eventuell weniger, weil sie Langschläfer sind. Aber das kommt in Mangetti nicht in Frage.

Die Woche in Grootfontein hat es in sich. Etwas grösser als Andara, viel besser organisiert als Rundu, und es gibt mehrere Ärzte,  die ihre Ausbildung abgeschlossen haben , aber Assistenzzeit absolvieren müssen für die Zulassung als Arzt. Das Wissen ist noch neu, es kommen viele Fragen und reger Austausch über medizinische Fragen. Mit Elan wird es von Dr Hasan geleitet, aber das Herz des Krankenhauses ist Dr. Lydia. Wieder bietet Edi den Kurs für die Früherkennung von Schwangerschaftsproblem mit Sonar an. In Andara haben sich 8 Interessierte angemeldet,  über zwei Wochen. Hier melden sich gleich 12 an, drei davon aus dem weit gelegenen Ondongua. Es werden drei Gruppen mit jeweils 4 Personen pro Gruppe gebildet, jede Gruppe hat drei Tage nacheinander zwei Stunden Unterricht, und am Abschluss bekommen sie ein Zertifikat. Es wird eine strenge Woche, weil der Dienstag ein Ferientag ist. Als sich   ebenfalls Interesse für EKG-Vorlesungen zeigt , war der einzige verfügbare Tag der Ferientag. Zu unserem Erstaunen und unserer Freude melden sich gleich zehn Ärzte um 8 Uhr morgens,  alle bleiben bis zum Schluss. Zum Schluss diagnostizierenn sie schon selber die Test-EKGs, zuerst zaghaft,  aber dann mit wachsender Freude.

Am Nachmittag haben wir dann frei und werden von Max mitgenommen nach Dornhügel in etwa 20 Km Entfernung. Das Personal auf der Farm braucht Proviant und Max, der gerade vor einige Tagen siebzig Kerzen auf dem Geburtstagstisch auspusten musste, hat vor ein Wildschwein zu schiessen. Mit Schiessen ist es manchmal wie beim Angeln, man bringt viel Ausrüstung und Geduld mit und kommt dann abends mit vielen Geschichten , aber mit wenig Erfolg und  Sonnenbrand nach  Hause.  So fahren wir auf einen Viehposten wo Wasser angelegt ist, steigen auf einen Jägerposten, essen je einen Apfel, und warten. Es ist nichts zu sehen, nur das Vieh , das im Kraal steht und wiederkaut und  mit dem Schwanz Fliegen verjagt. Und dann kommen sie doch – erst die Sau, zuerst zögerlich und dann zügig, und einige Zeit später ein grosser Keiler. Etwas ist ihm nicht ganz geheuer.Obwohl Max den Geländewagen in weiter Entfernung hinterlassen hatte, zögert er noch näherzukommen. Max zielt auf den Keiler und wartet bis dieser dann endlich doch näher kommt. Auf einmal knallt es und die Sau rennt davon. Der Glückliche ist Max, der voller Freude und gediegenem Stolz mit Hand anlegt, als wir den Keiler hinten auf den Geländewagen laden und zur Verarbeitung zum Hof fahren.

Diese Woche ist anstrengend, und wir müssen weiter nach Windhoek, und die Gedanken gehen schon den Weg voraus als wir am Freitag rührend verabschiedet werden. Das Personal hat uns Becher machen lassen mit ¨Grootfontein Hospital¨ und unseren Namen, dazu eine Dankeskarte mit kleinen persönlichen Bemerkungen. Ich bin angetan vom Krankenhaus und den vielen, schönen Begegnungen, Offenheit und Begeisterung dieser Kollegen und wir nehmen schweren Herzens den Weg zu Fuss nach Hause, um die Koffer (schon wieder) zu packen.

Am Anfang fragte ich mich,  ob vielleicht 6 Wochen zu lang sind und nun kommt schon die letzte Woche. Eigentlich wäre noch eine Woche in Grootfontein wertvoll gewesen. Es war oft streng und vor allem die Gynäkologen werden hier hoch geschätzt, aber jeder,  der auf die Bedürfnisse der lokalen Ärzte eingeht,  kann hier einen wertvollen Dienst leisten. Die Hilfe und der Austausch kommen gut an. Man hat Freude and der Arbeit,  aber auch an einander, und das ist das Spezielle.

Wir nehmen schweren Herzens den Weg nach Windhoek. Dort muss einiges erledigt werden, inklusiv ein Covid PCR Test für den Abflug. Man merkt , es ist Winter, ein kalter Wind weht. Aber es liegt auch an der ¨Grossstadt¨, mit ungeduldigen  Taxifahrern, viel Lärm und Hetze, schicke Restaurants und Läden und trotzdem kann man sich mit dem allem anfreunden. Die Gedanken gehen zurück zum Containervillage, staubigen Wegen und an schaukelige Fahrten im Busch zu den entfernten Kliniken und Menschen , die auf einander angewiesen sind , aber auch für einander da sind. Und erst dann wird einem bewusst – das Herz hat man dort oben im  Caprivi am Lagerfeuer hinterlassen. Denn man kann Namibia verlassen, aber irgendwie verlässt Namibia dich nicht. Und das ist gar nicht so tragisch , denn Namibia braucht uns.

Bis uff widerlooge,

Pierre

Dr. Pierre Jordaan
– Chief medical officer –