Erfahrungsbericht von Kathrin Vischer

Das Warten der Kinder am Kavango…

Mudiro Einsatz August 2022
Zwei Tage vor Abflug zu unserem dritten Mudiro Einsatz eile ich durch Bern mit einer langen Liste für letzte persönliche Reiseutensilien, Geschenke und Material zum Aufrüsten von Schulapotheken, als mein Handy in der Tasche surrt. Auf whatsapp finde ich ein Bild geschickt von Dr. Patrick aus Andara. Es zeigt ein Neugeborenes mit einer vollständigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, ohne Kommentar.

Für mich ein rührender Beweis für ein funktionierendes Netz zwischen Schweizer Ärzten und dem Team in Andara. Dr. Patrick wusste von unserem bevorstehenden Einsatz, und dass ich schon verstehen werde, was dieses Kind braucht. 

Als ich mich nämlich vor einem Jahr am letzten Morgen von ihm verabschieden wollte und noch einen Memory Stick mit unseren Vorträgen ins Spital brachte, meinte er „wait, wait, I have to show you something“ und führte mich zu einem in der Nacht geborenen Kind mit derselben Missbildung. Wir haben damals die Probleme der Ernährung in den Monaten vor der ersten Operation, die in Windhoek möglich ist, besprochen, und ich habe ihm von Spezialsaugern erzählt, die in der Schweiz als Trinkhilfe für diese Kinder, die nicht an der Brust trinken können, eingesetzt werden.

Kurz vor Ladenschluss sause ich in Bern von Apotheke zu Apotheke, erkläre mehrmals, dass ich ihre Unterstützung und Bestellbereitschaft sehr schätze, aber den Nuggi sofort brauche. Letztendlich finde ich leider nur ein einziges Stück, aber immerhin!

Bis zu unserer Ankunft in Andara kümmert sich Marlis Koch, eine Berner Hebamme um Mutter und Kind, und sie hat glücklicherweise auch praktische Erfahrung im Umgang mit diesem Spezialnuggi und kann die Mutter instruieren. Vor Austritt besprechen wir zusammen mit Dr. Patrick und den Nurses wie die Ernährung dieses Neugeborenen, das ganz gut gelernt hat aus der Flasche zu trinken, weitergehen soll. Milchpumpen gibt es keine und manuell ausgepresst reicht die Milch der jungen Mutter nicht zur Ernährung ihres Säuglings. Marlis, Dr. Patrick und ich sind klar für zusätzliche Pulvermilch, weil das Kind sonst verhungert, die Nurses sind aus ihrer Erfahrung dagegen, da die Gefahr von Durchfällen wegen der ungenügenden hygienischen Bedingungen bei der Zubereitung der Flaschennahrung gross ist.Und traurigerweise ist bei all unseren gut gemeinten Bemühungen nicht sicher, ob die Familie überhaupt will, dass das Kind überlebt …

Zu unserem 3. Mudiro Einsatz flogen wir Zürich-Frankfurt-Windhoek, wo wir mit Verspätung landeten und nach dem Transfer mit Laston (der zuverlässige Taxifahrer in Windhoek!) zum nationalen Flughafen Eros den Weiterflug nach Katima Mulilo knapp erreichten. Am Flugfeld von Katima Mulilo, 330 km östlich von Andara, wartete ein SUV auf uns, den wir unabhängig von Mudiro für die ganze Zeit unseres Aufenthalts bei Ondongwa Car Hire gemietet hatten für grösstmögliche Unabhängigkeit und Flexibilität. 

Am Montagmorgen, 1. August 2022, pünktlich um 8 Uhr zum Wochengebet mit Gesang, begrüssten wir im Andara Hospital dieselbe Ärzte Crew, die wir bereits aus dem Vorjahr kannten. Es war ein freudiges Wiedersehen und ein herzlicher Empfang auch seitens der Pflegenden.

Für Mattheus trudelten schon bald die ersten Hals-Nasen-Ohren Patienten ein. Ich wurde von unserer spontanen Barbara über einen dreitägigen outreach Einsatz mit Marlis Koch, der Hebamme, die, wie wir später herausfanden, bei der Geburt unseres Sohnes Michael vor 34 Jahren in Basel dabei war, und Karolina Büchel, der Notfall Medizinerin, positiv überrascht. 

Sogleich ging’s ans Packen, warme Kleider für die beiden Zeltübernachtungen, haben wir Medikamente, Impfungen, Waage, Messband, … ??? – Stethoskop und Ohrenspiegel sind immer im Rucksack.

Die Arbeit in der Abgeschiedenheit im outreach nach langer Fahrt auf Sandpisten ist immer wieder beeindruckend. Gemeinsam haben wir Kinder, Schwangere und Erwachsene mit unseren beschränkten Mitteln untersucht und behandelt, und Screening Untersuchungen bei fröhlichen, kichernden Schulkindern durchgeführt.

Der Einsatz der professionell ausgerüsteten Mobile Clinic wird in Zukunft sicher eine Qualitätssteigerung dieser Besuche im outreach bringen.

In der zweiten Woche war ich mit Nicole, einer Schweizer Heilpädagogin unterwegs. Beim zweiten Einsatz 2021 durften wir während unserer Zeit im Nankudu State Hospital einige Tage bei Nicole in Nkurenkuru wohnen. Wieder einmal WG-feeling, campfire im Garten, Apéro am Okawango und Nilpferdgegrunze so dicht neben uns, dass wir das Ufer in Flipflops fluchtartig verliessen.

Nicole ist für Interteam (Comundo) in Namibia zwei Jahre angestellt vom Ministery of Education and Gender. Sie organisierte ein Screening für auffällige Schulkinder im Kawango West zwischen Rundu und Nkurenkuru. Dank ihrem grossartigen, unermüdlichen Einsatz hat es geklappt, dass die Lehrpersonen ihre ausgewählten Kinder meist mit nur wenig Verspätung und am geplanten Tag aus dem bush in die zentralen circuit officesgebracht haben. 

Für jeden Stützpunkt hatten wir einen halben Tag eingerechnet, Getreideriegel, Äpfel und Wasser waren unser Mittagessen jeweils im Auto während der Fahrt zum nächsten Ort. Damit dieses Programm klappte, brauchte es viel Motivationsarbeit in den Schulen, Fahrzeuge, Kreditanträge für Benzin und zeitnahe Erinnerungsanrufe. 

Zusammen haben wir insgesamt 220 Kinder untersucht mit Schwerpunkt auf Hör- und Sehscreening. 

Dabei identifizierten wir 39 Kinder mit Hörproblemen und 29 mit Sehstörungen. Diejenigen mit Visus Auffälligkeiten haben in Rundu, wiederum verbunden mit sehr grossem Organisationsaufwand für Transport, von einem Optometristen ein Brillenrezept erhalten und warten immer noch auf Brillen… Diejenigen mit auffälligem Gehör warten auf die Audiologin aus Windhoek, die seit Covid nicht mehr im Norden war, Hörgeräte anpassen könnte, aber offiziell zur Zeit kein Geld auftreiben kann für Benzin…, oder nicht wirklich motiviert ist die Annehmlichkeiten Windhoeks aufzugeben und in den armen Norden zu fahren.

Einen Vormittag haben wir für Fortbildung über das Ohr und Hören mit Audiometrie Screening Training für Lehrpersonen eingesetzt. Nicole konnte sogar einen Beamer organisieren, der auch ganz gut funktionierte bis zum Stromausfall. Für uns ein „no go“ gehört in Namibia zum Alltag. Die Begeisterung bei den 15 teilnehmenden Lehrpersonen und einem Inspektor war gross. Das Screening Gerät steht jetzt zur Verfügung zum Testen von auffälligen Kindern und wird hoffentlich auch rege gebraucht.

Die letzte Woche verbrachten wir wieder im Container in Andara. Der August war bereits angenehm mild, sodass wir keine Handschuhe zum Morgenkaffee brauchten. Nach zwei Tagen Einsatz im Spital erwarteten wir die Ankunft der Ärzte für die Academy, die Fortbildungstage. Mattheus wird in seinem Bericht darauf eingehen.

Wir beschäftigen uns immer wieder mit der Frage der Nachhaltigkeit, freuen uns an einzelnen Erfolgen, hoffen auf Veränderungen in kleinen Schritten und staunen über die Lebensfreude und Geduld der Menschen in dieser armen Region. 

Ich freue mich auf unseren vierten Einsatz, vermutlich im Juli 2023, auf Fahrten in den outreach mit der Mobile Clinic und bin gespannt auf die neue Academy.

~ Dr. Kathrin Vischer, Kinderärztin