Erfahrungsbericht von Dr Corinne Rindisbacher
Seit 29 Jahren bin ich Hausärztin mit Leib und Seele. Bereits als Studentin interessierte ich mich für Afrika und machte erste praktische Erfahrungen in einem Missionsspital in Lesotho.
2016 besuchte ich erstmals Namibia und ich wusste bald, dass ich später gern für einen medizinischen Einsatz dorthin zurückkehren möchte. 2019 las ich in der schweizerischen Aerztezeitung den Erfahrungsbericht eines schweizerischen Arztes mit Mudiro und dessen Gründerin Barbara Müller. Nach wenigen Treffen mit ihr war mir klar, dass ich 2020 mit Mudiro nach Namibia gehen würde. Wegen der Covid-19-Pandemie wurde nun daraus 2021.
Am letzten Tag des namibischen Lockdowns kam in Windhoek an. Mit Laston, meinem Taxifahrer, erlebte ich eine kurzweilige Fahrt ins 450 km nördlich gelegene Grootfontein. Von ihm erfuhr ich viel über das Alltagsleben einer namibischen Familie in Windhoek. Ueberhaupt gab es bei längeren Autofahrten in Namibia oft längere und persönlichere Gespräche in denen ich mehr von dem Alltagsleben, Freuden und Sorgen der Namibier erfuhr.
In Grootfontein wurde ich von Irmgard und Max Beyer herzlich empfangen. Sie waren die Vermieter meines Häuschens und die guten Geister meines fünfwöchigen Aufenthaltes in dieser kleinen Stadt.
Schon am nächsten Tag nahmen sie mich mit auf die Rinder- und Guestfarm Dornhügel. Ich erfuhr sehr viel über das Leben auf einer Rinderfarm und lernte dabei auch die afrikanischen Mitarbeiter kennen. Dieser Einblick half mir später bei der Arbeit im Spital, da der überwiegende Teil der Namibier auf kleineren oder grösseren Farmen lebt und arbeitet. Auf der Kontrollfahrt entlang dem Grenzzaun von Dornhügel sah ich bereits erste Perlhühner, Giraffen, Antilopen und Warzenschweine.
Den fünfwöchigen Einsatz mit Mudiro verbrachte ich im State Hospital Grootfontein, einem Spital mit 145 Betten. Wegen Covid-19 war eine Isolationsstation eingerichtet worden. In der Spitalgarage wurden die Patientin gegen Covid-19 geimpft und draussen an der frischen Luft konnten Patienten sich auf Corona testen lassen. Diese Tests wurden mit grosser Sorgfalt durchgeführt. Auch in Sachen steriles Arbeiten waren mir die gewissenhaften Mitarbeiter im Spital immer ein Vorbild.
Die lebhafteste Spitalabteilung war die Geburtshilfe. Dort war immer ein reges Kommen und Gehen. Die Frauen kamen oft von weit her für die Geburt. Teilweise hatten sie während der ganzen Schwangerschaft keine einzige medizinische Kontrolle gehabt. Ich sah sehr viele jungen Frauen unter 20. Dank der gut strukturierten Tätigkeit der Hebammen vor und nach der Geburt konnten die meisten Patientinnen mit ihren Babys schon nach 1-2 Tagen das Spital wieder verlassen. Es gab auch immer wieder junge Mütter, die weder eine Decke noch Kleider für ihr Baby hatten. Glücklicherweise fand sich immer wieder jemand im Spital, der dafür sorgte, dass die Babys nicht nackt nach Hause entlassen wurden.
Am Anfang waren die Bettenstationen eher leer und im Ambulatorium war wenig los, ähnlich wie bei uns in der Schweiz, während des Lockdowns. Während meines Aufenthaltes halfen acht verschiedene Aerzt/innen aus anderen Spitälern für die fünf regulären Stellen aus. Trotz der hohen Personalfluktutation lief der Spitalbetrieb weitgehend im gewohnten Rahmen weiter, obwohl die infolge Krankheit seit längerem abwesende Chefärztin keine offizielle Vertretung hatte.
Als die grosse Konstante während meiner fünf Wochen erwiesen sich die medical assistants. Diese fünf unge Namibier/innen hatten entweder in Russland, der Ukraine oder in China ihr Medizinstudium abgeschlossen und absolvierten nun in Grootfontein ihr achtmonatiges Praktikum, um das namibische Gesundheitswesen kennen zu lernen.
Jeder Morgen startete mit der Visite auf den verschiedenen Abteilungen. Ich begleitete meist zuerst die medical assistants auf ihrer Vorvisite. Wir besprachen Krankheitsbilder, übten zusammen Untersuchungstechniken, besprachen die Gesprächsführung mit Patienten und erörterten die nötigen Abklärungsschritte, die Indikation von Laboruntersuchungen oder von radiologischen Abklärungen. Bei genügend Zeit besprachen wir auch einzelne Fälle, wobei ich die jungen Aerzte dazu motivierte, die Patienten mit ihren Händen und dem Stethoskop zu untersuchen. Später stiessen dann die erfahreneren Aerzte auf der Visite dazu und am Krankenbett wurden die aktuellen Probleme besprochen. Glücklicherweise gibt es einen Internetzugang im Spital und so konnten bei Unklarheiten auch die Guidelines mit den Mobiltelefonen online konsultiert werden.
Schon morgens um sieben Uhr kamen die ersten ambulanten Patienten ins OPD (Outpatients departement = Ambulatorium). Sie wurden zuerst durch die Pflegenden befragt und der Blutdruck, Puls und Temperatur gemessen. Auch Notfälle wurden meist gut vortriagiert oder behandelt. Danach sassen die Patienten meist geduldig auf langen Bänken und warteten auf die Aerzte. Nicht wenige hatten dafür eine Autofahrt oder einen Marsch von mehreren Stunden hinter sich.
Nach der Morgenvisite ging ich regelmässig ins OPD und behandelte dort auch selbstständig Patienten. Oft ging es um Kontrollen von hohem Blutdruck oder Diabetes. Manchmal erzählten die Patienten von ihren Sorgen oder sprachen über das namibianische Gesundheitswesen.
Am späten Vormittag stiessen die medical assistants und die anderen Aerzte im OPD dazu. Nach Möglichkeit setzte ich mich in der Sprechstunde zu Ihnen und unterstützte die jungen Aerzt/innen dabei, Krankengeschichten möglichst genau aufzunehmen und möglichst korrekte Diagnosen zu stellen, damit nötige Abklärungen und Behandlungen fachgerecht eingeleitet werden können.
Weiter versuchte ich, die jungen Aerzte zu ermutigen, die seelischen Probleme der Patienten anzuhören und darauf einzugehen. Dies erwies sich als grosse Herausforderung. Der unisono lautende Tenor der Aerzte lautete meist so: «Wir schicken die Patienten zur Sozialarbeiterin.» Aus einem persönlichen Gespräch mit der zuständigen Sozialarbeiterin erfuhr ich, dass die Patienten dieses Angebot meist nicht wahrnehmen. Bei diesem, aus meiner Schweizer Sicht bestehenden Manko, weiss ich nicht ob es kulturell bedingt ist, oder ob es der Ausbildung der namibischen Aerzte geschuldet ist.
Ich hatte die Möglichkeit, zwei Referate mit viel praktischem Input zu halten, welche auf gute Resonanz stiessen. Auch hier wurde deutlich, dass ein gutes kontinuierliches Teaching gefragt- und wichtig ist.
Die ersten 2 Wochen war ich als einzige Aerztin von Mudiro in Grootfontein tätig. Danach wohnte und arbeitete ich mit weiteren schweizerischen Aerzt/innen und einer Pflegenden von Mudiro zusammen. Wir unterstützen uns gegenseitig bei der Arbeit. Beim gemeinsamen Znacht tauschten wir unsere Erfahrungen aus und genossen die lauen Abende. Manchmal gab es zuerst auch einen Sprung in den kleinen, kühlen Swimmingpool der Beyers’ oder einen Spaziergang mit ihrem Hund.
Philip Bolliger, Franziska Maurer und Paul Mülhauser unterrichteten die namibischen Aerzte im Ultraschall. Dabei stiessen auch Aerzte aus anderen Spitälern dazu. Alle waren sehr interessiert und wollten möglichst viel lernen. Bei anstehenden Notfallkaiserschnitten sprangen die auswärtigen Aerzte spontan mit ein und unterstützten die Aerzte vor Ort.
Sehr beeindruckt hat mich, wie die Patienten ohne Klagen mit ihren oft schweren Krankheiten umgingen und ihre Schmerzen ertrugen.
Auf der pädiatrischen Abteilung sah ich oft kleine, teils sehr unterernährte Kinder und war konfrontiert mit grosser Armut. Auch für die medical assistants war dies sehr schwer zu ertragen und traurig, als zwei kleine Kinder leider starben.
Während des ganzen Aufenthaltes realisierte ich, dass die Mitarbeitenden im Spital und die Patienten uns Mudiroärzte genau beobachteten und hohe fachliche und menschliche Erwartungen an uns hatten. Unsere Kommunikation, Bescheidenheit, Freundlichkeit und Professionalität wurden quasi laufend überprüft. Die anfänglich grosse Zurückhaltung der lokalen Aerzte und der Pflegenden mir gegenüber wich mit der Zeit einer freundlichen Kooperation und Unterstützung. Beim Abschiednehmen im Spital flossen dann auch Tränen und die namibischen Aerzte äusserten ihr Bedauern, dass mein Einsatz so rasch beendet war.
Die Wochenenden verbrachte ich meist auf Lodges. Sehr eindrücklich war für mich die Gastfreundschaft auf der Chetaah Foundation in Otjiwarongo, wo ich als einziger Gast einen interessanten Abend in herzlicher Atmosphäre mit den Leitern und Forschern der Foundation verbrachte, die mir viel über die erfolgreiche Unterschutzstellung der Geparde in Namibia berichteten.
Die anschliessende Rundreise in diesem unglaublich schönen Land mit seinen freundlichen Menschen, der einmaligen Fauna und Flora, sowie verschiedenste Gespräche mit engagierten Namibiern gaben mir zusätzlich Einblicke in das Leben und in die politische Situation des Landes.
Beim Heimflug war mein Koffer voll… Nicht nur mit Souvenirs, vielmehr mit eindrücklichen Erinnerungen an viele Begegnungen mit liebenswürdigen, tapferen und engagierten Menschen, die in diesem Land etwas Positives bewirken wollen.
Der Einsatz in Namibia hat mich sehr bereichert und meine Erwartungen übertroffen, sowohl menschlich, persönlich und auch medizinisch.
In den Monaten danach, zurück in meinem Schweizer Alltag reifte auch mein Wunsch nach Namibia zurückzukehren und beim Aufbau und Einsatz der zukünftigen Mudiro Academy mit Herzblut mitzuwirken.
~ Dr Corinne Rindisbacher