Erfahrungsbericht Physiotherapie – Einsatz in Andara
Als ich im letzten Jahr Ende Februar zu meinem ersten Einsatz für Mudiro nach Namibia abgereist bin, konnte man die genauen Ausmasse der Pandemie noch nicht abschätzen. Es überschlugen sich die Ereignisse und ich musste, kaum den Einsatz begonnen, quasi fluchtartig das Land verlassen, um nicht plötzlich in Namibia festzusitzen. Umso mehr freute ich mich auf den diesjährigen Einsatz, doch auch dieser wurde wegen des namibischen Winters von Covid-19 geprägt. Lange waren die Infektionszahlen in Namibia stabil, doch kurz vor meiner Abreise stiegen sie sprunghaft an und wieder musste ich um meinen Einsatz bangen. Die erlassenen Reisebeschränkungen galten zum Glück nicht für Touristen, und so konnte ich problemlos (ausser dem noch ausführlicheren Papierkram) einreisen und auch in den Norden Namibias weiterreisen.
Auch im Spital in Andara machte sich Covid-19 bemerkbar. Die TB-ward (Abteilung) wurde zur Covid-19-ward umfunktioniert, die TB-Patienten auf die male und female wards verteilt. Zudem getrauten sich die Menschen aus Angst vor einer möglichen Ansteckung nicht ins Spital. Somit waren, ausser der Covid-19-ward, die wards höchsten zu einem Drittel ausgelastet. Auch im OPD-Wartebereich herrschte oft gähnende Leere. Und die Patienten, welche ins Spital kamen, waren vielfach in einem sehr schlechten Allgemeinzustand. Fast täglich habe ich morgens einen Trauerzug das Spitalgelände verlassen sehen. Dabei ist mir aufgefallen, wie hier der Umgang mit dem Tod meist ein anderer ist als bei uns. Hier gehört der Tod zum Leben dazu und schwere Schicksalsschläge werden oft einfach akzeptiert.
Meine Arbeit wurde zusätzlich erschwert, indem Selvester, ein male nurse und unser bisheriger Übersetzer und vor allem auch eine Art angelernter Physio, nicht mehr in Andara arbeitet, sondern nun in Nyangana ist. Ich bin sicher, er wird dort sein bisher durch uns erlangtes Wissen weiter einsetzen und anwenden, hier in Andara musste ich aber so wieder bei mehr oder weniger null anfangen. Ich versuchte dann nicht nur eine Person in Sachen Physiotherapie zu teachen, sondern das ganze Nurse-Team bezüglich Pneumonie-, Dekubitus- und Kontrakturprophylaxe zu schulen und mit ihnen zusammen die Patienten mehr zu aktivieren. Diese liegen während der Hospitalisation nämlich meist nur in ihren Betten. Gemeinsam mobilisierten wir verschiedenen Patienten an den Bettrand und in den Rollstuhl, stellten gute Stühle neben die Betten, damit ein bequemes Sitzen möglich war und betteten die Schwachen in die besseren Spitalbetten, damit das Kopfteil und der Knieknick zu einer aufrechteren Position genutzt werden konnten. Zudem betonte ich die Wichtigkeit der Schulung der Angehörigen und gab Inputs, diese zu optimieren. Meist sind es nämlich die Ehefrauen, Schwestern, Töchter oder Söhne, welche die Patienten bei der Lagerung, Körperpflege, Einnahme der Mahlzeiten und Toilettengänge unterstützen. Somit ist eine gute Kommunikation, hier allem voran die Sprache, essenziell. Ich war ausgesprochen dankbar, stellte sich immer sofort eine Nurse für die Übersetzung zur Verfügung, denn längst nicht alle Angehörigen und Patienten sprechen englisch. Es war auch schön zu sehen, wie die Patienten sich untereinander unkompliziert mit Übersetzen aushalfen. Zudem sorgte das für die meisten Patienten ungewohnte Mobilisieren oft zu einer heiteren Stimmung im Patientenzimmer.
Nachdem endlich wieder Krücken in der Pharmacy vorhanden waren, vereinbarte ich mit den Zuständigen einen Termin zur Stockinstruktion. Aus meiner Erfahrung in Rundu 2020 wusste ich, dass die Stöcke oft nur abgegeben werden, aber die richtige Einstellung der Höhe und die Instruktion, wie damit gegangen werden soll, vielfach fehlt, weil es die zuständigen Personen meist selbst nicht genau wissen. Am besagten Termin konnte ich erfreut feststellen, dass hier in Andara die Stöcke bezüglich Höhe sehr gut eingestellt werden, einzig für Gehschule konnte ich noch kleine Tipps mitgeben. Das Informationsblatt nahmen die Beteiligten sehr gerne mit und werden wahrscheinlich noch des Öfteren selbst mit den Stöcken üben, um sich bei der Instruktion sicherer zu fühlen.
Bei der täglichen Arbeit mit den Patienten stellte ich fest, dass keine einzige Bremse an einem Rollstuhl funktionierte. Somit benötigte ich oft eine zusätzliche Hilfsperson, welche den Rollstuhl fixieren konnte. Da niemand für den Unterhalt der Rollstühle zuständig schien, entschied ich mich, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Aus der von Martin Hunziker gut eingerichteten Werkstatt im Container nahm ich das nötigste Werkzeug mit und ‘nötigte’ die beiden Porter mir zu helfen. Nach einer kurzen Instruktion machten wir uns gemeinsam ans Werk und es flammte bald ein gewisser Ehrgeiz auf, auch die ganz verbogene Bremse zu reparieren. Hierzu brauchten wir aber handfesteres Werkzeug. Somit nahm ich diese Bremse und eine Armlehne mit zum Container. Mike und Melastus, Barbaras Helfer im Container, machten sich sofort an die Arbeit und flickten in kurzer Zeit auch noch die beiden letzten Teile. Stand Mitte August: es sind alle Rollstühle im Spital Andara in einem guten funktionsfähigen Zustand.
Natürlich gab es in der gesamten Zeit auch Patienten, die mir noch lange in Erinnerung bleiben werden. Beispielsweise der ältere Mann aus Shaditata, welcher für die Wundpflege von Brandwunden an den Füssen im Spital war. Er hat jeweils regelrecht auf mich gewartet, um bezüglich Gleichgewicht und Kraft gefordert zu werden. Oder Celestinus, von welchem ich von Gabi Jakob schon viel gehört hatte. Sie hatte ihn im März 2021 behandelt und er kam nun extra für die Physiotherapie zurück ins Spital. Mit viel Engagement und sehr pflichtbewusst hat er sein Heimprogramm ausgeführt und ist nun als sicherer Fussgänger ohne Hilfsmittel unterwegs. Es wäre schön, wenn alle Patienten, egal ob Namibier, Schweizer oder von sonst wo auf der Welt, sich so aktiv an der eigenen Genesung beteiligen würden.
Bei Osward, ein Mann mit Lähmungen der Beine und des Rumpfes, machten wir sogar Domizil-Physio. Barbara wurde durch Freunde von ihm unterrichtet und hat mich dann zweimal zu ihm hingefahren. Somit konnte ich Osward und seinen Angehörigen ein gutes Heimprogramm instruieren und ihnen Möglichkeiten zeigen, wie einige Aktivitäten des täglichen Lebens, zum Beispiel Aufstehen vom Boden, einfacher zu bewältigen sind. Ich hoffe, dass er eben so aktiv wie Celestinus ans Werk geht und es ihm dadurch gelingen wird, wieder eine bessere Lebensqualität zu erlangen.
Der Alltag im Container war ruhig und gemütlich, herzlichen Dank an Claudia Diggelmann für das angenehme WG-Leben. Wir haben uns von Anfang an sehr gut verstanden, was für einen erfolgreichen Einsatz natürlich sehr unterstützend ist.
Der vierwöchige Einsatz hat mich in verschiedener Hinsicht einmal mehr Geduld und Beharrlichkeit gelernt. Ich denke, nur durch diese zwei Tugenden kann man in allen Bereichen des Lebens Erfolg haben. Es sind oft die kleinen Dinge, mit welchen Veränderungen beginnen und welche einem Mut machen. Sei es ein aufmunterndes Lächeln, eine helfende Hand oder eine kreative Lösung, wenn nicht das ideale Material vorhanden ist. Viele kleine, aber wichtige Schritte führen auch zum gemeinsamen Ziel. Ich denke, ich konnte einen Grundstein für mehr Aktivität und Mobilität der Patienten im Spital in Andara legen und bin zuversichtlich, dass beim nächsten Einsatz einer Physiotherapeutin im November daran weitergebaut werden kann.
~ Ursula Stoll, Physiotherapie