Erfahrungsbericht Mattheus Vischer

Erfahrungsbericht Dr. med. Mattheus Vischer

HNO am Kavango – ein grosser Schritt vorwärts

„Papi tjitju?“ frage ich in Thimbukushu –  „wo hast Du Schmerzen?“ – „Tjitju Thikuma?“ – „starke Schmerzen?“ …bisweilen ist der Übersetzer grad dringend beschäftigt… dank kleiner sprachlicher Fortschritte konnte ich selber fragen! Viele Patienten hier im Norden können fast kein Englisch – man muss sich also zu helfen wissen. 

Wir sind wieder angekommen hier im Andara hospital… am Montag früh, wie üblich: morning prayer mit Gesang… doc Erasmus begrüsste uns herzlich und sehr persönlich zu unserem vierten Einsatz. Er ist der neue SMO, wir hatten schon vor zwei Jahren viel Kontakt und Austausch mit ihm.

Andara hospital

Gleich am ersten Vormittag brachte ein Vater seinen kleinen Jungen, der an einem Ohr fast nichts hörte – eine orange Plastikperle war tief im Gehörgang eingeklemmt! Fremdkörper im Ohr ist der typische Notfall der Kleinkinder, einfach zu beheben – falls man dafür eingerichtet ist. Die Plastikperle konnte ich unter dem Mikroskop schliesslich mit einem kleinen Ohrhäkchen entfernen… war eine mega Übung, aber gut: dafür musste der Kleine nicht 200 km nach Rundu und dann noch 700 km bis nach Windhoek fahren.

Am zweiten Tag operierten wir den jungen Lehrer aus Shamunaro, dem wir vor zwei Jahren eine Zyste aus der Stirnhaut entfernt hatten. Diesmal störte ihn eine kleinere Zyste über dem rechten Auge, die sich in lokaler Betäubung entfernen liess. Dabei leistete der Sauger und die bipolare Elektrokoagulation – von Mudiro gespendete und mit Namibia Stecker installierte Geräte – sehr willkommene gute Dienste – bis zum Stromausfall! Da waren dann die Tupfer mit Wasserstoffperoxyd gefragt bis das Notstromaggregat angeworfen war. Operiert haben wir in der casualty, umringt von Ärzt*innen und Pflegepersonal, die aufmerksam jede Bewegung beobachteten.

Im Lauf der Woche kamen viele HNO Patienten nach Anmeldung gemäss einer seit einigen Monaten geführten Liste – durchaus erfreuliche Neuigkeit. Zahlreiche klagten über schlechtes Hören, über chronische Entzündungen mit übelriechendem Ausfluss. Fliessende Ohren zu behandeln ist im Winter ein häufiges Bedürfnis im Norden Namibias. Drei Tage Anwendung antibiotischer Ohrentropfen bringt die Infektion meistens zum Abheilen, aber das Loch bleibt, das Gehör bessert nur wenig. Andere hören nicht gut wegen einer grösseren oder kleineren Perforation im Trommelfell, trocken und reizlos, ohne Entzündung.

Diese Patienten zeigten sich sehr enttäuscht, keine Medikamente zu erhalten – schliesslich hatten sie drei NAM $ bezahlt. Ja… und dann meldeten sich wieder etliche „no hearing“ Patienten – nicht ganz unerwartet – die vorgaben, nichts zu hören… Ohne mit der Wimper zu zucken ertragen sie 100 dB laute Testtöne, aber auf die leise gestellte Frage, ob sie ein disability grant bräuchten, nicken sie mit dem Kopf. Ach herrjeh… mit diesem Geld könnte man die Familie einen Monat ernähren – oder auch mal in der Shebeen ein oder zwei Nächte richtig durchfeiern. Die hier im Norden weit verbreitete Armut macht erfinderisch – nun: aus unseren Einträgen im health pass von 2022, 2021 und sogar 2019 wurde dann rasch alles klar, aber na ja… man probiert halt immer wieder.

Zwischendurch ergab sich Gelegenheit, dieses Problem mit der social workerin zu besprechen… Das war recht aufschlussreich: neuerdings wird von einem board bestehend aus zwei Ärzt*innen und einer social workerin über die Zusprache eines dysability grant entschieden. Jeweils Freitag nachmittags müssen die Patient*innen persönlich vorsprechen, werden angehört und ihr Antrag wird beurteilt. Dann entscheidet das board über den Anspruch, oder vertagt den Entscheid und ordnet weitere Abklärungen an.

Das Angebot, am Donnerstag eine Fortbildung zu halten fand sofort Anklang. Im gut besuchten Referat ging’s um Schmerzen im Ohr – mit und ohne Mittelohrentzündung, illustriert mit zahlreichen Trommelfell-Bildern. Es ging um die Frage, wann eine antibiotische Therapie erforderlich sei, wie lange und mit welchem Medikament. Zwar hängt im board room ein hochaktuelles Plakat zum Thema der Antibiotika Resistenzen, aber der tägliche Umgang mit Antibiotika ist leider immer noch ziemlich unkritisch.

Es gab auch wieder einige ziemlich groteske Krankheitsbilder: zwei Frauen mit ausgedehnten Tumoren der Ohrspeicheldrüse, seit Jahren immer grösser geworden… hier im Norden von Namibia ertragen das Patienten oft jahrelang. Diese Frauen hatten sich vorgestellt wegen ihrer Gehör-Einschränkung – bedingt durch die enorme Ausdehnung des Tumors, der den Gehörgang komprimiert.
Oder der acht jährige Knabe mit klaffender offener Lippen-Kiefer-Spalte… die anspruchsvolle Chirurgie dieser Spaltleiden wäre in Rundu zwar möglich, ich hatte das mit dem Chirurgen in Rundu besprochen – zum vereinbarten Termin ist der Knabe aber leider nicht erschienen. Tja… der Plan für diese Patienten war da, funktioniert hat er aber nicht. Da muss man sich zurücknehmen und Respekt aufbringen für das über allem stehende Recht auf Selbstbestimmung.

Nankudu hospital

In der dritten Woche hielten wir im Nankudu hospital zwei Tage eine gut besuchte Sprechstunde. Sister Betty, die Matron begrüsste uns freudig und die Ärzte waren dankbar, dass wir tatsächlich gekommen sind, das wird geschätzt… und hier beginnt die Nachhaltigkeit. Viele kleinere Probleme konnten wir erledigen, Reinigen der Ohren, Hörtest bei Kindern und Erwachsenen, Halsschmerzen, chronisch verstopfte Nase… Komplexe Krankheitsbilder wurden zur Operation nach Rundu überwiesen. Die Ärzt*innen nahmen gerne teil an einem kurzen Weiterbildungs-Referat nach der morning conference.

Ja – und der grosse Schritt vorwärts?

In den ersten Tagen unserer Tätigkeit im Andara hospital erwähnte doc Joana, die junge Ärztin aus Rundu beiläufig, seit kurzem sei ein HNO Spezialist im Rundu intermediate hospital tätig – wie sehr mich das freute! Ihn kennenzulernen war sofort beschlossene Sache. Über whats app (ist ja DAS Kommunikationsmittel in Afrika) stellte ich mich bei ihm vor, und wir verabredeten ein Treffen in seiner Sprechstunde im OPD: im „Covid“, dem schicken modernen neuen Gebäude gegenüber dem Haupteingang, in dem während der Pandemie Patienten in Isolation hospitalisiert gewesen waren. Dr. Zinabu ist ein erfahrener und breit ausgebildeter HNO-Arzt, unter anderem in Ohrchirurgie, der in seiner Heimat in Äthiopien bis vor kurzem als Chefarzt eine Klinik leitete. Seit Anfang Juni ist er ENT consultant, HNO Arzt im Rundu hospital.
An zwei Tagen der Woche leitet er die ambulante HNO-Sprechstunde im OPD, an ein bis zwei Tagen macht er HNO Eingriffe – vorläufig nur ganz einfache Operationen. Eigentlich wüsste er bestens Bescheid, er könnte die meisten HNO Probleme behandeln – dafür bräuchte er so rasch als möglich geeignete HNO Instrumente und Geräte. Für’s erste zückte er für jeden Patienten das Handy, und leuchtete in Mund und Nase und Hals… Vorerst wartet er mit Vorfreude auf die chirurgische Arbeit am Operationsmikroskop, 2021 von Mudiro® gespendet im Operationssaal fachgerecht installiert. Chirurgische Instrumente sind unerlässlich, und sobald eine OP Assistentin da ist, kann’s losgehen – zu tun gibt’s allemal sehr viel! Er ist auch gut ausgebildet und erfahren in Audiometrie und möchte sobald als möglich Hörprüfungen durchführen und eine*n nurse in der Handhabung des Audiometers ausbilden. Die Bestimmung der Hörschwelle ist ein wichtiger Teil der Diagnose einer Schwerhörigkeit und unerlässlich vor einer Ohroperation. Das Audiometer ist bestellt, es sollte demnächst geliefert werden.
Die letzten zwei Tage unseres Einsatzes verbrachten wir nochmals im Andara Hospital – einige Patienten kamen zur Verlaufs-Kontrolle, andere erstmals für eine HNO Konsultation. Es gibt noch so einiges zu tun… Der Abschied von doc Erasmus und den Kolleginnen und Kollegen war sehr herzlich – wir kommen wieder.

Mit einem gemütlichen Schluss-Abend am Ufer des Kavango River verabschiedete uns Barbara bei einem schicken dinner mit sehr leckerem Rotwein – und wir bedankten uns bei Herman, dem stets freundlichen und hilfsbereiten chief of Mudiro Camp, dem begeisterten Fahrer der mobile clinic, dem umsichtigen Logistiker der outreach Einsätze…  und liessen die eindrücklichsten Momente dieses vierten Einsatzes Revue passieren unter Namibias prächtigem Sternenhimmel – let’s do it again!

Dr. med. Mattheus Vischer, Spezialarzt HNO, Hals-und Gesichtschirurgie