Erfahrungsbericht Familie Widmer-Seebach
Erfahrungsbericht Familie Widmer-Seebach
Oktober 2023
Wir sind Anouk, Aiko Jakob und Lutz, eine Familie aus Zürich. Aiko ist 6 Jahre alt, Jakob 9, wir beiden ‚Alten‘ arbeiten als Hämatologin am Unispital Zürich beziehungsweise in einer Praxis für Gastroenterologie in Uster. Wir sind für ein Jahr unterwegs um die Welt und machen für 5 Wochen halt in Namibia, um für Mudiro zu arbeiten. Bei schlappen 39 Grad werden wir vom Flughafen in Rundu abgeholt und fahren mit Barbara und Herrmann am Steuer dem Okavango entlang nach Andara. Es ist staubtrocken. Zeitgleich ist Wolfgang, ein Deutscher Chirurge in Rundu tätig, hat die Basler Physiotherapeutin Sybille vor einigen Tagen ihre Arbeit im Spital Andara bereits aufgenommen und Pierre, der weise und emsige Mudiro-Chefarzt ist schon in seiner vierten Woche vor Ort. Wir werden herzlich empfangen, Herrmann’s Bolonaise mit Spaghetti erobert sofort die Herzen unserer Kinder, die sich im gemütlichen Containerhäusle auf einem Bauernhof meinen und sich mit den Tieren anfreunden.
In der ersten Woche lernen wir das Spital Andara kennen. Nach dem Morgenrapport, während welchem in sehr angenehmer Atmosphäre die Fälle des Vortages oder auch andere Dinge ausgiebig besprochen werden, geht die Abteilungsvisite los, die uns gleichermassen beeindruckt und bedrückt. Schwer kranke Menschen und Kinder sitzen oder liegen auf den Betten. Viele davon leiden an Tuberkulose und oder AIDS, die Kinderabteilung ist voller Mangelernährter und uns fallen die doch recht häufigen Schlangenbisse auf. Ein junger Mann krümmt sich vor Bauchschmerzen; er wurde am Vorabend nach einem Tritt in den Bauch während eines Fussballspieles zugewiesen. Der Ultraschall des Abdomens zeigt ein grosses Hämatom im Unterbauch. Zur Überwachung wird er nach Rundu überwiesen, wo er schliesslich nach einigen Tagen laparatomiert wurde zur Hämatomausräumung. Von den drei Ultraschallgeräten, die allesamt von Mudiro stammen, funktioniert eines und wird in der Geburtshilfe eingesetzt. Die Ultraschalldiagnostik des Bauches ist nicht Routine. Dennoch konnten wir den Ultraschall in den Tagen in Andara wie auch dann in Nyangana täglich einsetzen und wichtige Befunde erheben (Darmverschluss, Hernien, Überlaufblasen, Aortenaneurysma uam). Hoffentlich ist auch einiges durch das hands-on teaching hängen geblieben und der strenge Alltag der Ärztinnen und Ärzte lässt ein Üben dieser wertvollen Diagnostik zu.
Die zahlreichen mangelernährten Kinder lassen das Ausmass bitterer Armut großer Teile der Bevölkerung erahnen. Im Sonnenschein des Tages sieht man die ärmlichen Hütten des slumähnlichen Divundu, die weiten Fussmärsche zu sauberem Wasser und die jungen Mütter, die häufig selbst noch zur Schule gehen. Dennoch oder gerade deswegen wird, wenn es langsam dunkel wird, gelacht, gesungen und den Freuden des Lebens im Hier und Jetzt nachgegangen.
Ein Highlight für die ganze Familie waren die Tage mit der mobilen Klinik im Busch. Die Menschen und insbesondere die Schulkinder empfingen uns zahlreich und warteten auf die Behandlung. Impfungen, Schwangerschaftskontrollen oder Familienplanung sind Dinge, die ansonsten nicht zu diesen Menschen gelangen würden. Die Klinik auf Rädern ist hervorragend ausgerüstet und nach einer kurzen Zeit des sich Zurechtfindens machte das Arbeiten Spass und wurde effizient. Die etwas schweren Fälle mussten wir in die Klinik schicken. Wir werden diese staubig-trockenen Tage, die mit einem Bier unter dem Sternendach endeten, nie vergessen.
Ein Leben in Hoffnung wider jede Hoffnung. Genau da findet Barbara’s Mudiro statt und kann der Funke sein, der im Einzelfall ein Leben rettet. Ein 74-jähriger Tourist wurde von seinem Lodge-Besitzer, wo er auf der Durchreise weilte, wegen Atemnot und Brustschmerzen auf den Notfall in Andara gebracht. Aus dem Auto meldete sich der Lodge-Besitzer bei Barbara, welche wiederum uns zu größerer Eile beim morgendlichen Kaffee antrieb. Nach der Untersuchung, dem EKG und der Erstversorgung war uns klar, wir hatten es mit einer Angina Pectoris zu tun, also einer Minderversorgung des Herzmuskels mit Sauerstoff. Ein Vorbote eines Herzinfarktes. Der Patient liess sich stabilisieren und wurde unter der medikamentösen Therapie schmerzfrei. Leider nur für einen Tag. Wir entschieden uns, den Patienten in ein kardiales Interventionszentrum in Windhuk zu überweisen. Barbara legte los. Es gelang ihr, innert vier Stunden ein Flugzeug mit Krankenschwester auf einer Schotterpiste 20 Km von Andara, in Bagani, landen und den Patienten nach Windhuk ausfliegen zu lassen.
Es wurde eine 90%-ige Hauptstammstenose, also eine relevante Herzkranzgefässverengung gefunden, welche mittels Stents wiedereröffnet werden konnte. Der Patient kam mit dem Leben, einem erhaltenen Herzmuskel und der Erfahrung davon, dass zwischen Angola und Namibia, am Okavango, sich jemand entschlossen hat, die Dinge zu verbessern und dieses Ziel gegen viele Widerstände und Rückschläge unermüdlich und mit Herzblut verfolgt.
Danke Mudiro, danke Barbara
-Aiko, Jakob, Anouk und Lutz im November 2023