Ein Psychiater in Namibia

Im November 2020 war ich zu meinem 2. Einsatz für MUDIRO im Norden Namibias und durfte wieder viele Eindrücke und Erfahrungen gewinnen.

Während der 3 Wochen Einsatz war ich in den beiden Spitälern in Andara und Nyangana um dort PatientInnen zu behandeln und Schulungen für die Pflegekräfte und Ärzte zu geben. Mit dem Outreach Fahrzeug, sowie mit dem eigenen Fahrzeug habe ich Patientinnen und Patienten bei diesen zuhause besucht und behandelt, weil diese nicht selbst in das Andara Hospital kommen konnten. Die Menschen vor Ort, in ihrem Zuhause zu sehen, vermittelte mir einen noch tieferen Einblick in das alltägliche Leben, als dies durch die reine Arbeit im Krankenhaus möglich gewesen wäre. Zu verstehen woran es fehlt und was konkret die alltäglichen Schwierigkeiten sind, ging weit über eine rein psychiatrische Behandlung hinaus. Ich war beeindruckt wie offen und selbstverständlich ich hier, trotz der Tatsache, dass ich als völlig Fremder zu den Menschen nach Hause gekommen bin, in die Häuser gebeten wurde und mit welcher Offenheit die Menschen von ihren Problemen berichteten. Nicht immer gelang es einen hilfreichen Weg zu finden, manchmal scheitert dies an Dingen, die für uns in der westlichen Welt Kleinigkeiten sind, wie die Verfügbarkeit einer geeigneten Medikation oder die Möglichkeit der PatientInnen ins Spital kommen zu können, weil sie weder ein Auto besitzen, noch das Geld um sich den Transport leisten zu können.

Neben der Arbeit in den Krankenhäusern wurde ich im Rahmen des Projektes der Schulung der Life Skills Lehrer bzgl. Sexualaufklärung zur Reduktion der sexuell übertragbaren Erkrankungen und zur Prävention der Teenager-Schwangerschaften vom Direktor in die Schule Max Makushe zu einem Meeting eingeladen. Hier zeigte sich einmal mehr, wie unglaublich motiviert und engagiert viele der Menschen hier vor Ort sind und an welchen oft auch bürokratischen Hürden sie scheitern oder durch welche Dinge sie gebremst werden. Wir konnten die Schule Max Makushe als Projektschule gewinnen und werden nächstes Jahr mit den Schulungen der Life Skills Lehrer beginnen. Nicht nur der Direktor, sondern auch Pius, ein Lehrer an dieser Schule, gewährten mir einen tiefen Einblick in die vielfältigen Probleme der Jugendlichen gerade auch im Umgang mit ihrer Sexualität und dem Thema Verhütung. Man merkte ihnen die Traurigkeit darüber an, dass jedes Jahr viele der Schülerinnen nicht mehr zum Unterricht erscheinen, weil sie schwanger werden. Ich war beeindruckt von den Bemühungen und der Unermüdlichkeit dieser Lehrer und gleichzeitig wurde mir umso bewusster wie wichtig es ist hier eine Unterstützung zu geben. Mit dem Direktor der Schule konnte ich besprechen, dass nicht nur fachliche Informationen dringend benötigt werden, sondern auch Wege der geeigneten Vermittlung dieses immer noch hochsensiblen und mit vielen Vorurteilen und kulturellen Vorstellungen behafteten Themas der Sexualität.

Von Beginn an war geplant, dass ich für dieses Projekt meine Erfahrung in der Sexualaufklärung und meine Kenntnis in der Vermittlung komplexer Inhalte als Psychotherapeut und Psychiater einbringen werde. Angedacht war, dass ich hierfür 2x im Jahr für jeweils einige Wochen nach Namibia komme. Leider war dies 2020 aufgrund der Corona-Pandemie noch nicht in dieser Frequenz möglich und es musste leider bei diesem einen Einsatz bleiben.

Daneben konnten in einem hoch interessanten Meeting gemeinsam mit den SozialarbeiterInnen der Region die wichtigsten Probleme und mögliche Lösungen besprochen werden. Die SozialarbeiterInnen sind häufig die ersten und nicht selten die einzigen, die sich intensiv mit Menschen beschäftigen, die eine Traumatisierung erlitten haben. Im Norden Namibias gibt es weder Psychiater noch Psychotherapeuten, von Traumatherapie gar nicht erst zu sprechen. Die Ehrlichkeit und Klarheit im Benennen der Probleme, aber auch in der Ausarbeitung möglicher Lösungsansätze inklusive des klaren Formulierens in welchen Bereichen sie sich Unterstützung und Ausbildung wünschen würden, war auch hier beeindruckend. Trotz einer unglaublich hohen Arbeitsbelastung und einem fast unüberschaubaren Feld an Aufgaben war von allen Beteiligten ein riesiges Engagement spürbar und ich freue mich darauf hier, die in diesem Meeting vorbereiteten Projekte in die Tat umzusetzen, insbesondere eine Schulung der SozialarbeiterInnen zum Thema Umgang mit traumatisierten Menschen, v.a. Frauen und Jugendliche, nach (sexueller) Gewalterfahrung.

In den beiden Spitälern konnte ich jeweils einen Vortrag über die Erstellung eines geeigneten Anamnesegespräches bei psychiatrischen PatientInnen und einen weiteren Vortrag über psychotische Erkrankungen, z.B. Schizophrenie halten.

Dem Engagement der Pflegekräfte und der ärztlichen Kollegen ist es zu verdanken, dass es dabei nicht bei einem theoretischen Vortrag blieb, sondern sofort damit begonnen wurde das Gehörte praktisch umzusetzen. Der Umgang mit den PatientInnen änderte sich und es entstand vermehrt ein Interesse hinter die Offensichtlichkeit mancher psychiatrischen Symptome zu blicken. 

Auch wenn v.a. die medikamentösen Optionen, nicht nur, aber bei psychiatrischen PatientInnen im Besonderen, aufgrund der sehr wenigen verfügbaren Medikamente, sehr beschränkt sind und bleiben werden, kann über eine Optimierung der Dosierung, der Dauer der Einnahme und der immer wiederkehrenden Hinterfragung der Richtigkeit der Diagnose viel bewirkt werden. Ich bin dankbar dafür, dass die Pflegekräfte und die Ärzte in beiden Spitälern, in denen ich sein durfte nicht nur aufmerksame Zuhörer waren, sondern größtenteils mit großer Begeisterung Dinge veränderten. Immer wieder muss ich an einen jungen Kollegen in Andara denken, wie stolz er war, wenn er in der morgendlichen Besprechung deutlich machen konnte, dass er das Gelernte, sei es das in den Vorträgen und bed-side-teaching der zur gleichen Zeit anwesenden Internistin Dr. med. Nadja Urbanek oder in meinen, bereits zielführend angewandt hat. Seine unglaubliche Wissbegier und Freude an der neuen Erfahrung hat mich jeden Tag aufs Neue begeistert und mir gezeigt, dass Veränderung trotz aller Schwierigkeiten und Widrigkeiten möglich ist.

Eine wichtige Erfahrung für mich war gleich zu Beginn in Andara feststellen zu müssen, dass kein einziges Antipsychotikum in Tablettenform im Spital vorhanden war. Dies bedeutete, dass nun die medikamentöse Ausstattung nicht mehr nur unzufriedenstellend war, sondern es schlichtweg nichts mehr gab was den PatientInnen, außer der mit deutlich gefährlicheren Nebenwirkungen behafteten intravenösen Gabe, gegeben werden konnte. Es gelang gemeinsam mit dem zuständigen Chefarzt Dr. Mariwa innerhalb von nur einem Tag zumindest Haloperidol (ein hochpotentes Antipsychotikum) in Tablettenform zu organisieren.

Die herzliche, offene und ehrlich wertschätzende Aufnahme auf allen Ebenen, sei es im Spital, sei es in der Schule, sei es in der Community hat mich erneut beindruckt. Bei meinem Einsatz 2020 bekam ich das Gefühl, dass wichtige Weichen und wichtige Schritte gesetzt werden konnten. Es muss einem immer bewusst sein, dass dies immer nur kleine Schritte sein können und auch die Möglichkeiten beschränkt sind, aber auch kleine Schritte machen eine Bewegung in die richtige Richtung aus. Wiederzukommen und den Menschen zusichern zu können nicht nur nächstes Jahr wieder da zu sein, sondern die von ihnen angedachten Projekte, Ideen und Schulungen, gemeinsam mit ihnen umzusetzen, lässt mich schon jetzt ungeduldig darauf warten wieder zurück nach Namibia zu kommen.  

Ich freue mich auf die Herausforderungen der nächsten Jahre, v.a. auch bzgl. Sexualaufklärung ein neues Projekt mit aufbauen zu dürfen und auch die Arbeit mit den SozialarbeiterInnen noch zu vertiefen. Bei all dem wird immer auch die Arbeit in den Spitälern weiter notwendig sein und einen wichtigen Teil meiner Arbeit hier ausmachen.

Der Norden Namibias, die Menschen mit ihrer Offenheit, ihrem Entgegenkommen und ihrer Wärme überstrahlen für mich immer wieder aufs Neue die teilweise unbarmherzige und grausame Härte, die das Leben hier für viele bietet und die einen manchmal traurig und fassungslos zurücklassen kann. Und jedes Mal wenn man glaubt machtlos und ohnmächtig zu sein, geht gemeinsam mit den Menschen vor Ort ein kleiner Schritt weiter, weiter in eine bessere Zukunft. Ich komme nicht hierher, weil ich weiß wie Dinge gehen, sondern weil ich fest davon überzeugt bin, dass die Menschen hier mit ihrem unglaublichen Engagement und ihrer Kraft es verdient haben eine Unterstützung in ihrem Kampf zu bekommen.

Ein Teil von mir bleibt immer dort- im Norden Namibias, der ein stückweit wie eine zweite Heimat für mich geworden ist.

Dr. med. univ. Matthias Rohwer

– Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie-

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