Erlebnisbericht vom vierten Aufenthalt im Andara Catholic Hospital in Namibia von Dr. med. Christoph König

Dezember 2019 bis Januar 2020

Geduld!!!

Sie lesen den Bericht meines vierten medizinischen Einsatzes im Norden Namibias.

Nach einem wunderschönen und spannenden Camper Trip durch den Norden Namibias mit meinen Kindern (Tochter 30, Sohn 27) sind wir wieder in Windhoek. Die Kinder reisen ab und für mich beginnt ein neues Abenteuer. Ich freue mich sehr darauf. Zuerst geht es mit dem Flugzeug von Windhoek ganz in den Norden Namibias nach Rundu. Fortan begleiten uns Gewitter und Regengüsse. Zumindest im Norden hat es nach vier Jahren Dürre geregnet, dies zur Freude von Natur und Bevölkerung, welche zu der ärmsten der Welt gehört.

Barbara (wir kennen uns gut und lange) erwartet mich wie üblich mit einem warmen, sympathischen und herzlichen „Halali Himba“ am Flugplatz von Rundu. Meine Motivation wird dadurch für meinen Einsatz im „Catholic Mission Hospital Andara“ nochmals gesteigert. Andara liegt 180 Km östlich von Rundu tief im Caprivi Zipfel am Okavango River. Dieser bildet die lange Grenze zwischen Angola und Namibia und versickert schlussendlich im Okavango Delta in Botswana. 
Die Autofahrt mit viel Musik, v.a. Songs in Afrikans, erscheinen mir wie in einem Kinofilm. Soweit das Auge reicht ist alles saftig grün, das Gras hoch und die Landschaft geprägt von blühenden gelben, rosaroten und weissen Blumen. Mit immer wieder beeindruckender Fahrsicherheit von Barbara (sie kann am Steuer mehr als drei Sachen gleichzeitig erledigen) erreichen wir unser Ziel in Andara. Ueli, ein Bekannter von Barbara belgeitet uns dabei.Somit kann das Abenteuer „vierter Aufenthalt im Andara Catholic Hospital“ beginnen. Für mich ist es kein Sprung ins kalte Wasser, ich kenne die Verhältnisse bereits.

Die religiöse Andacht am Montagmorgen mit allen Mitarbeitern und dem Chefarzt ist stets beeindruckend mythisch und motiviert mich sehr. Der Einstieg fällt leicht, da ich den Betrieb und viele Leute aus den vergangenen Aufenthalten bereits kenne. Ich werde mit Applaus empfangen. Vor allem der in Kürze eintreffende „neue“ Ultraschall mit einer Vaginalsonde begeistert die Ärzte und das Pflegepersonal.

Ab an die Arbeit. Es warten schon viele Patientinnen, vor allem auf mich. Die Sprachbarrieren sind mein grosses Problem. Englisch ist die offizielle Landessprache, viele sprechen jedoch Afrikans, welches ich nicht verstehe. Erschwerend kommt hinzu, dass im Norden Namibias über 20 Dialekte gibt. Zum Glück gibt es immer wieder Dolmetscher. Mein Aufenthalt entpuppt sich dieses Mal als eine sehr harte Nuss. Viele vor allem emotionale Begegnungen und z.T. widerliche äussere Umstände werden uns alle begleiten, berühren und noch lange verfolgen.

Schlangen und Schlangenbisse interessieren mich schon immer. Wir trafen sie letztes Jahr fast täglich an. Gleich am ersten Tag auf der Abteilung begegne ich zwei Frauen, welche von einer Spitting Cobra gebissen wurden. Das Gift wandert in den Lympfgefässen gegen das Herz und verursacht fürchterliche Verletzungen in Form von Gewebezerstörung. Die verletzten Frauen sind tapfer und das Pflegepersonal, welches die Wunden versorgt arbeitet hervorragend. Die immer wiederkehrenden Schlangenbisse veranlassen mich das Buch „Snakes and Snakebite in Southern Afrika “ von Johan Maraiszu kaufen und mich darin zu vertiefen. Bin ich nun an Schlangenexperte? Ebenfalls legte ich mir eine Schwarzlicht Taschenlampe zu, um die zum Teil ebenfalls giftigen fluoreszierenden Skorpionen zu orten.

Fast jeden Morgen nach dem Ärzterapport gibt es Fortbildung, v.a. durch mich. Anschliessend folgt ein «Bed side teaching» am Patienten im Spital oder von der angeschlossenen Poliklinik während vier Stunden. Die Ärzte werden von mir im Umgang mit dem Ultraschal trainiert. Weiter wird jeder interessante Fall den vier Ärzten vorgestellt und anschliessend von mir geprüft. Die Ergebnisse der Prüfungensind bis auf Dr. James (er ist der beste Arzt im Spital) für Schweizer Verhältnisse eher bescheiden. Die Frage stellt sich, woran das liegen kann. Wahrscheinlich braucht es noch mehr Übung aber auch Geduld und Durchhaltewillen auf beiden Seiten. Geduld ist bei diesem Aufenthaltsowieso das Schlagwort.Seit zwei Monaten steht eines durch den Staat finanziertes neues Röntgengerät im Spital. Noch immer eingepackt in Plastik, wartet man auf einen wichtigen Bestandteil, sodass das Gerät in Betrieb genommen werden kann. Welcome to Africa!!!

Eine Katastrophe beginnt: Die Hauptwasserpumpe ist für die gesamte Region ausgefallen. Dies bedeutet: Kein Wasser. Weder wir, das Spital noch die gesamte Bevölkerung verfügt über Wasser. Die Konsequenzen sind sehr weitreichend. Eingestellt ist das Trinkwasser, Wasser für sanitäre Spülung, Händewaschen, Kochen und das gravierendste es können keine Operationen durchgeführt werden. Nichts geht mehr. Sämtliche zu operierenden Patienten v.a. in der Abteilung Geburtshilfe (auch Notfälle) müssen mit der Ambulanz ins 180 Km entfernte Spital transportiert werden. Was für ein grosses Desaster. Zum Glück bin ich nicht in Kenntnis, was alles auf dem Transwortweg anKomplikationen aufgetreten ist.Zurückversetzt wie im 18. Jahrhundert, wandern wir mit den Einwohnern in den nahe gelegenen Fluss um Wasser zu holen. Nach Trinkwasser wird vergeblich gesucht. Trump hätte schon längst den Notstand ausgerufen. Wir üben uns wiederum in Geduld. Zumindest unser Camp und das Spital erhalten mittels Zisternenwagen nach fünf langen Tagen Wasser, da wir über Wassertanks verfügen. Trinkwasser? An den Umstand, dass ein Drittel vom Tag kein Strom zur Verfügung steht, haben wir uns bereits gewöhnt. Das Spital verfügt über ein Notstromaggregat, welches sofort anspringt bei Stromunterbruch. Trotz allem geht das Leben hier in Afrika fröhlich und munter weiter. 
Die Schule beginnt. Ungefähr 100 Schüler und Schülerinnen spazieren täglich zur Schule um 6.30 Uhr singend und unbeschwert an unseren Containern vorbei. Was für ein schöner Wecker.

Endlich kommt Gregor Guthauser aus der Schweiz an. Ein begnadeter Anästhesist und Freund von mir. Die Anfängliche Idee, unter normalen Anästhesiebedingungen zu operieren und vor allem gynäkologische Operationen durchzuführen wurde vernichtet. Noch immer läuft die Wasserpumpe nicht und es steht kein sauberes Wasser zur Verfügung. Dieser Zustand soll insgesamt 11 Tage weiter dauern. Gregor wurde somit ins Spital nach Rundu ab beordert,wo er wertvollere Dienste leisten kann. Schade für den Aufwand. 
Nun bin ich alleine im Camp. Kein Wasser (Trinkwasser aus fünf Liter Flaschen hatten wir), abends oft keinen Strom. Das gibt viel erholsamen und nötigen Schlaf. In diesem sieben wöchigen Aufenthalt in Namibia geniesse ich wie immer die Ruhe. Keine Natel Verbindungen, kein Fernseher, keine Zeitungen, keine News, Kein Trump oder Börsenwerte. Und trotzdem dreht die Welt weiter. Das ist Herunterfahren und trotz allemErholungpur. Kaum vorstellbar aber ein Traum.

Die nächste emotionaleKatastrophe, lässt nicht lange auf sich warten. Eine mir so ans Herz gewachsene Schlangenbisspatientin, hat ohne was zu sagen und klangheimlich das Spital verlassen. Ich bin entsetzt, konsterniert und traurig. Wo steckt sie nur? Sie wird unweigerlich an ihrer noch nicht verheilten Schlangenbisswunde an einer Sepsis sterben. Stecken Voodoo dahinter? Die sind zumindest aus medizinischer Sicht gefährlich und überall zu finden. Schlafen kann ich nicht mehr. Was soll aber unternommen werden? Sollen wir sie mit der Ambulanz suchen gehen? Sie wohnt zwar in der Nähe aber Nähe ist in Afrika immer relativ. Vier Tage später, steht sie mit frischen Kleidern und mit Fieber und eiternder Wunde plötzlich wieder da. Sie hat überlebt, ein zweites Mal. Wie erleichtert ich bin, steht mir ins Gesicht geschrieben. Wir werden sie weiter pflegen. Der Alltag kehrt ein und ich bilde weiter aus und werde in hohem Masse selbst ausgebildet. Viele Krankheitsbilder kenne ich nicht. Einmal mehr erfahre ich, dass schwarz und weiss eine Symbiose ist und auch sein muss, dies in allen Bereichen! Wir sind aufeinander angewiesen. Claudia Meloni, die Ärztin vom letzten Jahr fehlt mir unheimlich.

Das Thermometer misst zwischen 33 und 38 Grad. Ich liebe diese Wärme. Immer wieder gibt es wohltuende und abkühlende Regen in Massen. Das Gras ist unterdessen fast 50 cm hoch. Die Schlangen sind gut versteckt und zeigen sich fast nicht mehr. Die herausschauenden Rippen der Tiere sind verschwunden. Ein Zeichen, dass die Tiere gut genährt sind und Nachwuchs haben. Bei uns im Spital gibt es auch Nachwuchs. Ca. 50 Kinder kommen pro Monat zur Welt. Manchmal ist meine geburtshilfliche Erfahrung sehr wertvoll. Die Kindersterblichkeit nimmt unter diesen schwierigen Bedingungenetwas zu. Diese liegt bei viel zu hohen 5%. Ebenfalls ist die Müttersterblichkeitsrate verglichen mit unseren Zahlen, viel zu hoch. Dies hat sehr unterschiedliche Ursachen:schlechtes follow up, kein follow up, zu lange Wegzeiten bis zum Spital usw. All diese Gegebenheiten lassen sich nicht ändern. Hingegen an derBildung und Ausbildung kann noch viel verbessert werden.Darum ist unsere Präsenz von enormer Bedeutung und zugleich wertvoll. Sie wird auch sehr geschätzt.

Letztes Jahr verzeichneten wir 15% neue Malariafälle. Zum heutigen Zeitpunkt gibt es weniger Malariafälle. Dies ist ev. auf ein sehr gut organisierte Malaria Spraying Programm zurückzuführen. Bravo Afrika! Auch HIV- Erkrankungen sind weniger zu verzeichnen. Die befallenen Patientinnen und Patienten werden von Geburt an bis ins Erwachsenenalter dank eines sehr gut organisierten Programms mit antiretroviralen Medikamenten oder anderen HIV- wirksamen Substanzen behandelt. Das Ziel besteht darin, dass die Viruskonzentration im Blut soweit heruntergefahren wird, sodass HIV erkrankte Menschen nicht mehr ansteckend sind. Die Tuberkulose, eine an sich heilbare Krankheit, verursacht weiterhin Sorgen. In Afrika gilt die Tuberkulose als die Krankheit mit den grössten medizinischen Folgeschäden sowie als grösste kostenverursachende Krankheit. So erstaunt es doch, dass Tuberkulose heilbar wäre. Das aktuelle Coronavirus wird mit grösster wahrscheinlich auch Afrika erreichen, medizinisch wird es weniger grosse Schäden anrichten, die Menschen sind im Durchschnitt wesentlich jünger als in der restlichen Welt. Hingegen wird es zu einem riesigen Oekonomischen  Desaster führen, gefolgt von einer gewaltigen Hungersnot, welche wir dann wieder zu bewältigen haben. Vergessen wir nicht neben allem Coronageschwätze, dass weltweit >200 000 Menschen an verschmutztem Wasser sterben, oder über 200 000 Menschen an Malaria verenden. 350 000 Menschen sterben an einem Autounfall und eine halbe Million Menschen an HIV. Dies dürfen wir nicht vergessen sonst sterben noch mehr als fast 300 000 Menschen an Selbstmord. Wir haben noch viel zu tun und müssen die Augen offen halten.

Für Barbara und uns alle waren die paar Wochen eine unheimlich stressige Herausforderung. Daran hatte Barbara keine Schuld. Es waren die Umstände. Sie tat mir oft leid. Gut gemacht Barbara und Mudiro. Kommen wir in der Realisierung unseres Traumes eines Tages näher, Ärzte aus der medizinischen Fakultät von Namibia so auszubilden, dass sie fähig werden die medizinische Versorgung in ganz Namibia und vor allem den Norden Namibias selbständig zu betreuen? Daran glaube ich fest, sofern das Land weiterhin stabil bleibt. Es braucht aber noch sehr viel Geduld und Engagement von Seiten der Namibischen med Fakultät und von uns Mudiro. Ist Geduld eine Stärke von Barbara und mir? Die unter euch, die uns kennen, können bestätigen, dass wir sie haben.Mein Aufenthalt macht mich glücklich, ich bin gerne für Mudiro in Afrika und schätze die Arbeit. Man kann schon fast von einer Sucht sprechen, sodass man immer wieder gerne nach Namibia zurückkehren möchte, wie und wann auch immer.

Vielen Dank einmal mehr liebe Barbara und Mudiro für deinen und euren selbstlosen Einsatz und Engagement ohne Luxus aber mit Bescheidenheit, we keep going. Insbesondere auch vielen Dank an alle welche Mudiro mit so viel Engagement und finanziellen Mitteln unterstützen. Auch Ihr seid Enthusiasten auf eure Weise mit einem lodernden Feuer.

Halali Himba!