Erfahrungsbericht Allgemein Innere Medizin – Dr. Corinne Rindisbacher

Nachdem ich schon 2021 mit Mudiro einen ersten medizinischen Einsatz in Grootfontein geleistet hatte, freute ich mich nun erneut nach Namibia zu reisen und auch die Menschen und ihren Alltag in der nördlichen Kavangoregion in Andara kennenzulernen.

Vor dem Einsatz reiste ich mit meinem Mann Andreas zuerst für ein paar Tage in die 185 Kilometer südwestlich von Windhoek gelegene Astrofarm Hakos. Kaum liessen wir die Teerstrasse hinter uns, stellte sich ein vertrautes Gefühl des Heimkommens nach Namibia ein. Wir genossen die Fahrt durch die Savannenlandschaft und die auftauchenden Berge.  

Die Astrofarm Hakos ist eine ehemalige Rinderfarm und wunderschön gelegen. Viel wichtiger war die Aussicht auf den phantastischen dunklen Sternenhimmel. Wir wurden von den Hobbyastronomen, die aus der ganzen Welt angereist waren, gut in ihre Gesprächsrunde aufgenommen. Über Sprach-, Landes-und Religionsgrenzen hinweg ergaben sich interessante und lebhafte Gespräche und Diskussionen.  

Wir durften am Nachthimmel durch verschiedene Teleskope schauen und etwas von der Begeisterung für diesen unendlichen und wunderschönen Himmel mit seinen Planeten, Nebeln und Galaxien teilen.  

Zurück in Windhoek traf ich Franziska Maurer und Daphné Dougoud, beide Gynäkologinnen. Zusammen hatten wir uns vorher mit vielen WhatsApp auf den gemeinsamen dreiwöchigen Einsatz vorbereitet. Barbara Müller holte uns ab und fuhr mit uns ins 450 Kilometer nördlich gelegene Grootfontein. Am nächsten Tag lernten wir das fast gänzlich neue Aerzteteam kennen. Obwohl jeden Tag viel Arbeit auf die Ärzte wartete, stellten sie uns täglich 2 Stunden für Vorträge zur Verfügung. Sie waren interessiert und motiviert Neues zu erlernen und auch anzuwenden.  

In Namibia arbeiten die Ärzte nach dem Studium zuerst 2 Jahre als Assistenzärzte und werden dabei zu sogenannten Medical Officers ausgebildet. Diejenigen, die ihr Studium in China, Russland oder Kuba absolviert haben, müssen zusätzlich zuerst ein achtmonatiges Praktikum mit anschliessender Prüfung absolvieren. Erst dann werden sie als Assistenzärzte zugelassen. Die Medical Officers führen dann als zwar breit, aber zeitlich nur kurz ausgebildete Ärzte die Abteilungen in den staatlichen Spitälern.

Da viele namibische Patienten an Diabetes leiden, hielt ich einen Vortrag über die verschiedenen Aspekte des Diabetes als chronische Erkrankung. Dabei kamen wir miteinander in ein ehrliches Gespräch. Die namibischen Patienten und Ärzte sind es nicht gewohnt, über die seelische Befindlichkeit der Patienten zu sprechen. Sie erkannten die Notwendigkeit, aber äusserten auch Bedenken, dass die Patienten dies als sehr ungewohnt empfinden würden. Ich konnte sie ermutigen es doch ab und zu bei einfach mal zu probieren.

Im Vergleich zum letztjährigen Aufenthalt wurden erfreulicherweise die Antibiotika viel zurückhaltender und rationaler eingesetzt, da das Thema der Resistenzen jetzt besser bekannt ist.

Das gemeinsame Znüni und Mittagessen unter uns Ärzten war jeweils eine schöne Unterbrechung der Tagesroutine und eine Gelegenheit uns auch etwas persönlicher zu unterhalten. Nach dem Znüni ging ich mit auf die Abteilungsvisite der Inneren Medizin. Die Assistenzärztin und ich besprachen viele praktische Fragestellungen und übten zusammen ihr noch nicht vertraute Untersuchungstechniken am Krankenbett.

Unverändert zum Vorjahr waren auf der Kinderabteilung viele schwer mangelernährte Kleinkinder hospitalisiert. Es versterben auch Kinder trotz aller Bemühungen der Ärzte. Eine grosse Rolle spielt dabei auch, dass die labortechnischen Möglichkeiten sehr eingeschränkt sind, unter anderem auch weil die Bestimmung der Blutsalze oder der Entzündungswerte nicht vor Ort erfolgt. Das Blut muss jeweils nach Windhoek geschickt werden und die Resultate sind nie ganz aktuell.

Die Spitalsozialarbeiterin erzählte mir auch, dass die Suizidrate in Namibia leider sehr zugenommen habe. Vielen Namibiern geht es sozial sehr schlecht und der hohe Alkoholkonsum ist und bleibt leider ein grosses Thema. Am Nachmittag sah ich jeweils mit unterschiedlichen Ärzten Patienten mit vielfältigen Fragestellungen im OPD(Ambulatorium). Wir übten auch dort zusammen die sorgfältige Befragung und Untersuchung der Patienten und auch das Vorgehen beim Erstellen einer Diagnose.Die vier gemeinsamen Tage vergingen sehr schnell und am Ende wurden wir sehr herzlich und dankbar vom Aerzteteam verabschiedet.

Nach einem erholsamen Wochenende im Etosha Nationalpark mit Safari und schönen Tierbegegnungen fuhren wir die nächsten fünfhundert Kilometer weiter in den Norden nach Andara. Endlich beim Schiffscontainerhaus von Mudiro angekommen, wurden wir herzlich von Barbara Müller empfangen und bewirtet. Danach ging es auf Besichtigungstour zum nahe gelegenen Schulkinderheim und zum katholischen Spital.

Hinter dem Spital liegt die neue gebaute, leere Covid-19-Abteilung. Obwohl aktuell viele Kinder mit Infekten im Spital lagen, war es von Seiten der Regierung nicht erlaubt, die neue Abteilung zu eröffnen und sinnvoll umzunutzen.

Das 120- Bettenspital wird durch 4 Ärzte geführt. Am Morgenrapport wurden Fälle besprochen und manchmal gab es auch Zeit für fachliche Diskussionen. Danach ging ich jeweils mit Dr. Alice auf Visite auf die Kinder- und Männerabteilung. Die Kinderabteilung war immer sehr voll. In 4 Zimmern lagen 36 kleine Patienten mit jeweils einem erwachsenen Verwandten. Die meisten Kinder litten an Magendarmgrippe oder Husten mit Fieber. Ein beträchtlicher Teil der Kinder war auch mangelernährt. Die Evaluation der Unterernährung ist technisch glücklicherweise recht einfach. Mittels eines speziellen Messbandes wird der Oberarmumfang der Kinder gemessen. Dieser ist im Alter von 1-6 Jahren konstant und gibt erstaunlich genaue Resultate. Nach einem einheitlichen, vorgegebenen Schema erfolgte der Nahrungsaufbau dieser Kinder mit speziellen Milchen oder dann auch mit plumpy Nuts.

Die Kinder wurden so schnell wie möglich wieder entlassen, damit sie einander nicht noch mit anderen Infekten ansteckten. Die Mangelernährung war bei der Entlassung nicht abschliessend gelöst und ist aus meiner Sicht auch der Armut der lokalen Bevölkerung geschuldet.

Auf der Abteilung lag auch ein wenige Tage altes Baby mit Sepsis(Blutvergiftung). Die Mutter hatte, obwohl sie in der Nabelpflege instruiert worden war, den Nabel mit Asche desinfiziert.Eine Begegnung mit einem älteren Mann im OPD habe ich nicht vergessen. Ich befragte und untersuchte den Diabetiker allein. Er litt seit langer Zeit an sehr plagenden nächtlichen Schmerzen (Polyneuropathie). Ich untersuchte die Füsse des Patienten und ich konnte ihm den Grund seiner Schmerzen erklären. Glücklicherweise konnte ich ihm auch die entsprechenden Medikamente mitgeben. Der Patient war sehr dankbar und erzählte, dass seine Füsse noch nie untersucht worden seien.

Zeitnot! Zeitnot: Die namibischen Ärzte müssen oft in sehr kurzer Zeit sehr viele Patienten behandeln.

Wie könnte man sonst zu viert ein 120-Bettenspital führen, Notfälle betreuen und mindestens 50 Patienten im OPD behandeln? Dies führt auch dazu, dass die Befragung, die Untersuchung und das Gespräch mit den Patienten oft zu kurz kommen.

 

Seit 29 Jahren arbeite ich als begeisterte Hausärztin in der Schweiz. Ich habe zuhause sehr viele Fortbildungsmöglichkeiten. Da gebe ich gern meine Erfahrung und Wissen in Namibia mittels Referate, beim Teaching am Krankenbett oder beim kollegialen Austausch weiter. Ich engagiere mich gern auch in der Hoffnung, dass durch die gemeinsame Arbeit von Mudiro die Qualität der medizinischen Versorgung der namibischen Patienten jetzt und in Zukunft kontinuierlich verbessert werden kann. 

An eineinhalb Tagen unterrichtete ich von weit her angereisten Ärzten im Rahmen der Mudiro Academy zu verschiedenen Themen der Inneren Medizin. Der Wissensstand und Wissensdurst war heterogen. Trotzdem erörterten wir viele Fragen miteinander und übten auch aneinander verschiedene Untersuchungstechniken. 

Im Container tauschten wir am Abend unsere Spital- und Teachingerfahrungen aus, genossen zusammen das gemütliche Abendessen und die Sonnenuntergänge. Danach gingen wir zu acht in den Outreach. Am ersten Einsatzort wurden wir von den Schulkindern mit Tänzen begrüsst. Die Schulzimmer wurden rasch und unkompliziert zu Untersuchungsräumen umfunktioniert. Es wurden kleine Kinder geimpft und 3 Monatsspritzen gemacht. Ich behandelte auch meist Patienten mit leichteren Infekten der oberen Luftwege.

Zwei Männer blieben mir in lebhafter Erinnerung. Seit vielen Jahren litten sie immer wieder an Ohrinfekten und waren schwerhörig. Beide Patienten hatten grosse Trommeldefekte, wie ich sie in der Schweiz noch nie vorhergesehen habe. Der eine Patient ging am nächsten Tag direkt ins Spital Andara und wurde dann noch einmal weiter zum ersten Mal einem Spezialarzt im 200 Kilometer entfernten Rundu überwiesen. 

Das Zelten, das gemeinsame Kochen und Essen mit dem ganzen Team unter freiem Himmel machten Spass und am Lagerfeuer genossen wir zusammen die Sonnenuntergänge und Gespräche.

De 2 letzten Tage arbeitete erneut im Spital Andara. Zwei neue Assistenzärztinnen waren dabei. Sie waren froh um die beiden Vorträge die auch noch spontan Platz fanden im hektischen Spitalalltag.

Die drei Wochen waren im Nu vergangen und ich nahm verschiedenste Eindrücke mit nach Hause.

Ich habe viele sehr engagierte Menschen im medizinischen Umfeld kennengelernt, die trotz widriger Umstände und fehlenden technischen Möglichkeiten engagiert und fröhlich ihre Arbeit verrichteten. Ich habe vor Ort erlebt wie engagiert und warmherzig Barbara Müller und Herman du Toit die Arbeit von Mudiro in Nordnamibia weiter voranbringen. Ich bin vielen Menschen mit schweren Schicksalen und Krankheiten begegnet und nehme im Herzen mit, dass die Arbeit von Mudiro geographisch und auch inhaltlich genau am richtigen Ort angesiedelt ist.

Ich freue mich zu einem späteren Zeitpunkt gern für etwas längere Zeit zurückkommen, mit einem gefüllten Rucksack mit neuen Ideen, Vorträgen und Herzblut für die Menschen in Namibia.

~ Dr. Corinne Rindisbacher